Beiträge zur Kenntnis der französ. Gesellschaft
in der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts
auf Grund der Werke Rutebeufs, des Roman de la Rose,
des Renart le Nouvel und des Couronnement Renart.
INAUG URAL-DISSERTATION
zur
Erlangung der Doktorwürde
der
Hohen phil. Fakultät
der
Universität Leipzig
vorgelegt von
ALBERT BURCHARDT
" %
aus Altona.
Coburg 1910.
Druck von A. Roßteutscher.
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Angenommen von der philologischen Sektion auf Orund
der Gutachten der Herren Birch-Hirschfeld und Deutschbein.
Leipzig, den 10. Mai 1910.
Der Procancellar.
K Rohn.
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Meinen lieben Eltern
in Dankbarkeit gewidmet.
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Inhaltsübersicht
Vorwort .....
I. Vom Glauben und Aberglauben
II. Von der Geistlichkeit
III. Von den Kreuzzügen
IV. Vom Studenten und vom Pariser Universitäts
V. Vom Rittertum ....
VI. Von den Spielleuten
VII. Von Bauern und Bürgern
VIII. Von der Frau ....
IX. Von der Kleidung
X. Vom Tanz ....
XI. Von Spielen ....
XII. Vom Essen und Trinken
Literatur .....
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Abkürzungen.
Ru. —- Rutebeuf. Die römischen Ziffern bezeichnen den Band
in der Ausgabe von A. Jubinal, Paris 1874, 3 Bde., die
arabischen die Seitenzahl des betreffenden Bandes.
Rose = Roman de la Rose, herausgeg. v. Fr. Michel, Paris
1864, 2 Bde.
C R. = Couronnement Renart.
N. == Renart le Nouvel. Beide in der Ausgabe von Meon,
Paris 1826. Die arabischen Ziffern geben die Vers-
zahl an.
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Vorwort.
„C’est la peinture de la societe ä laquelle eile est destinee,
qui remplit la plus grande partie de notre vieille litterature
comme de notre litterature moderne. Aussi est-elle [la vieille
litterature] une mine inequisable de renseignements sur les
moeurs, les usages, les costumes, toute la vie privee de l’ancienne
France“ (G. Paris in „L’histoire de la langue et de la litte¬
rature fran^aise“, publ. sous la direction de Petit de Julleville,
pag. n Ed. 18%(. Wenn der Verfasser es unternommen hat,
für vorliegende Darstellung aus dieser Fundgrube zu schöpfen,
so ließ er sich bei der Wahl der zu Grunde gelegten Texte von
zwei Gesichtspunkten leiten: einmal, daß die verschiedenen
herangezogenen Texte zeitlich und örtlich einander nahe
kommen, und zweitens, daß sie in enger Beziehung zu der wirk¬
lichen Welt jener Zeit stehen, in der sie geschrieben wurden.
Der Darstellung wurden folgende Texte zu Grunde gelegt:
Die Werke des Pariser Troubadours Rutebeuf, der Roman
de la Rose, der Renart le Nouvel und der Couronnement Renart.
Die Abfassungszeit dieser Dichtungen erstreckt sich auf die
zweite Hälfte des XIII. Jahrhunderts (der von Guillaume de
Lorris verfaßte Teil des Roman de la Rose ist nur zur Er¬
gänzung herangezogen worden).
Daß diese Werke in der Tat in enger Beziehung mit der
realen Welt ihrer Abfassungszeit stehen, zeigen uns zahlreiche
Äußerungen der Dichter und ein Einblick in die Geschichte
jener Zeit. Doch darf nicht vergessen werden, daß zuweilen
Ansichten und Beurteilungen der Dichter ein rein subjektives
Gepräge tragen und aus ihrer persönlichen Stellung in der Ge¬
sellschaft zu erklären sind. „Den Gedichten Rutebeufs ist der
Stempel der Unmittelbarkeit aufgedrückt. Die Zeit spiegelt
sich in ihnen in ungewohnter Helligkeit“ (Gröber im Grdr. II.
2. Abt. 828). In lebhaftem Schlag pulsieren in ihnen die An¬
sichten über große Fragen, die die Gesellschaft jener Zeit be¬
wegt haben: die Ausbreitung der Mönchsorden und ihr Streit
mit der Universität, die Kreuzzüge, Ansichten über Welt und
Kirche. Auch der Roman de la Rose ist aus dem Geiste seiner
Zeit heraus entstanden. Als moderner Dichter, der die Strö¬
mungen seiner Zeit erkannt hat, sucht -Jean de Meung sein
Publikum in dem aufstrebenden Bürgertum. In seinem Werke
weht kräftig jener kritische Geist, der es wagt, am Alther-
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gebrachten zu rütteln und der uns dadurch mit den Forderungen
der neuaufsteigenden Zeit bekannt macht. Seinen oft wörtlich
benutzten Quellen steht er „vollkommen frei gegenüber und
opfert niemals sein selbständiges Urteil“ (Suchier p. 212). Die
Renartromane verraten weniger den neuen Geist, und die An¬
schauungen ihrer Verfasser weisen zum großen Teil in die
Vergangenheit. Doch gehen sie nicht gänzlich an den allge¬
meinen Zeitfragen vorüber. Sobald sie auf die Geistlichkeit
zu sprechen kommen, greifen sie mitten hinein in die actuellen
Fragen. Sie schneiden Probleme an, die die Gemüter ihrer
Zeit bewegten, und suchen zu ihrer Lösung beizutragen.
Das Kapitel „Vom Glauben und Aberglauben“ möge die
Darstellung beginnen. Den Stoff dazu weltlichen Dichtungen
zu entnehmen hat gegenüber Quellen kirchlichen Ursprungs
den Vorteil, daß sie uns am besten zeigen, in welcher Gestalt
und wie weit die Glaubenslehren und die Anschauungen der
Kirche im Volke Aufnahme gefunden haben. Die Träger jener
Lehren, die Geistlichen und die verschiedenen Mönchsorden,
folgen in der Darstellung. Ein Unternehmen, das Jahrhun¬
derte hindurch die Gemüter beschäftigt und wozu die Kirche
immer wieder angespornt hatte, hat für unsere Zeit seine An¬
ziehungskraft verloren: die Kreuzzugsunternehmungen finden
in der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts ihr Ende. Die
Machtentfaltung der Orden im Laufe des XIII. Jahrhunderts
brachte sie bald in Konflikt mit den Weltgeistlichen und den
Universitätslehrern. Ein Vertreter des Studententums wird
uns mit dem Treiben eines Teiles seiner Commilitonen be¬
kannt machen, und der Universitätsstreit wickelt sich in seinen
Hauptzügen vor uns ab. Neben der Geistlichkeit spielen im
Leben des Mittelalters die Ritter eine große Rolle. Mit ihnen
standen in enger Beziehung die Spielleute; der Verfall des
Rittertums hat auch den Niedergang der fahrenden Gesellen
zur Folge. Von den Bauern und Bürgern werden wir einige
Vertreter kennen lernen. Es wird sich dann Gelegenheit
bieten, uns mit der Frau jener Zeit bekannt zu machen und von
den Dichtern ihre Ansicht über sie zu hören. Wir sehen ihr
zu, wie sie sich putzt, und lernen dabei die einzelnen Kleidungs¬
stücke kennen. Wir begleiten sie zu munterem Tanz auf
grünem Rasen und sehen einigen Spielen zu, die die lange
Zeit verkürzen sollen. Zum Schluß leisten wir noch den mittel¬
alterlichen Franzosen Gesellschaft beim Essen und Trinken. —
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I. Vom Glauben und Aberglauben.
Der gläubige Christ des Mittelalters nimmt, wenn sein
Herz durch Zweifel oder Sünden geplagt wird, seine Zuflucht
zu Gott und hofft mit dessen Hilfe den Frieden seiner Seele
zu finden. Christus tritt mehr in den Hintergrund. Daß man
sich an den Heiligen Geist so selten wendet, — an keiner ein¬
zigen Stelle wird er allein angerufen — mag seine Ursache
in der rein geistigen Auffassung dieses Wesens in der christ¬
lichen Religion haben, der das sinnliche Empfinden der da¬
maligen Zeit fremd gegenüberstand. Ein reicher Kult wird
mit der heiligen Jungfrau Maria getrieben. An die Heiligen
scheint man sich selten in den Gebeten gewendet zu haben;
desto häufiger werden sie als Zeugen bei Beteuerungen ange¬
rufen. Der Gläubige, dem viel an der Erfüllung seiner Bitte
liegt, sucht ihr dadurch Nachdruck zu verleihen, daß er sein
Gebet an Gott, an Christus, an den Heiligen Geist, an die
Jungfrau und an die gesamten Heiligen richtet (Ru. I, 54).
Eine kleine Vorstellung, wie sich der Mensch im XIII. Jahr¬
hundert Gott dachte, vermögen uns die Epitheta zu geben, die
man dem Namen Gottes beilegte. Auch hier ist zu bemerken,
daß jene Beiwörter überwiegen, die einer sinnlichen Auffassung
der Gottheit entspringen. Die transcendenten Eigenschaften
werden weit seltener erwähnt. Gott ist der allmächtige Herr
(C. R. 2492), der König der Könige (N. 6686), der Lenker und
Regierer der Welt (Ru. I, 9), den man auch den Großen nannte
(C. R. 2195) und den man sich von seltener Schöne dachte
(Rose 17169). Er ist der himmlische König (Rose 15959) und
Herr der Engel (Rose 6041). Er ist der Ewige, der da war,
ist und sein wird (Ru. II, 253). Er ist weise und allwissend und
kennt der Menschen Tun im Voraus (Ru. 1,131). Diesehr mensch¬
lich gedachte Bezeichnung „Dieu qui neiment“ (Ru. II, 159) wird
von dem höher gebildeten Jean de Meung durch das Epitheton
„le verois“ „der Wahrhaftige“ ersetzt (Rose 7380). Gott als Ver¬
körperung der Liebe, dieses obersten Sittengesetzes der christ¬
lichen Religion, ist nur einmal zu finden (N. 2631). Ru. I, 7
bringt die Bezeichnung „Dieu li debonaires“. Desto häufiger
findet sich die Vorstellung von Gott als Richter. Beim jüng¬
sten Gericht, das in der Vorstellungswelt des mittelalterlichen
Menschen einen breiten Raum einnimmt, gibt Gott jedem
seinen Lohn (N. 7595). Er ist gerecht beim Urteilen (Ru. I,
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167), nimmt die Guten mit zu sich in seine Stadt (Ru. I, 175),
die Bösen aber jagt er in die Verdammnis und legt ihnen dort
Stricke um den Hals (Rose 6400).
Gott als rein geistiges Wesen wird nur einmal genannt
(Dieu P esperitable, Ru. II, 118). Namentlich beim Beteuern
tritt die anthropomorphe Vorstellung Gottes hervor. Man
schwört bei seinem Leib (Rose 7998), bei seinem Fleisch (Rose
21659), ja selbst bei dem allerheiligsten Gehirn Gottes (N.
1723). Der mittelalterliche Mensch traut ihm die Niedrigkeit
einer Rache zu (Ru. II, 37) und spricht von den nackten Gliedern
Gottes (Ru. II, 37) von einem Abschneiden seines rechten
Ohres:
vous copez Dieu Poroille destre. (Ru. II, 47).
Die von Athanasius vertretene Lehre, daß Jesus Gott
wesensgleich sei, ist tief in das Volksbewußtsein einge¬
drungen, so daß man oft zwischen beiden göttlichen Wesen
keinen Unterschied macht und mit Gott jenes Wesen bezeich¬
net, das für uns gelitten und durch seine Leiden uns erlöset hat
(Ru. I, 15).
In sekundärer Folge mit dieser durch das Dogma bedingten
Gleichstellung, in der Schröder pag. 13 wohl fälschlicherweise
nur eine „absichtliche Verwechselung zwischen Gott Vater
und Gott Sohn“ sieht, steht der Gebrauch, daß man die heilige
Maria bald als die Mutter Gottes, bald als dessen Tochter, als
dessen Schwester oder Freundin, bald wieder als dessen Magd
ansieht (Ru. I, 54; II, 153).
Der Heilige Geist spielte in der Seele des Volkes bei
weitem nicht die Rolle, die ihm von der Kirche zugeschrieben
wurde. Bei Beteuerungen ruft man ihn zuweilen als Zeugen
an (N. 4702). In Gebeten jedoch wird er stets nur im Zu¬
sammenhang mit Gott und Jesu in der Dreifaltigkeit genannt
und dann zuweilen mit dem Epitheton „der Erlöser“ (li sau-
veres, N. 3959). Die Trinität stellt man sich als eine Drei¬
teilung Gottes vor, die jedoch anderseits wieder eine in sich ge¬
schlossene Einheit bildet:
eil Dius qui fist trois pars
De soi meime, ....
(C. R. 2164),
En nom de Dieu Fesperite
Qui treibles est en unite.
(Ru. II, 187).
Bei Beteuerungen wird in unseren Texten die heilige Dreifaltig¬
keit zweimal genannt (Ru. II, 17).
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Einen breiten Raum in dem religiösen Leben des mittel¬
alterlichen Menschen nimmt die Jungfrau Maria ein. Durch
ihre Mutterschaft und ihre Leiden um den gekreuzigten Sohn
steht sie dem Gläubigen weit näher als andere göttliche Wesen.
Sie vermag es am besten, das kleinmenschliche Sinnen und
Trachten mitzufühlen. So ist auch sie am besten geeignet,
bei Gott Fürsprache für die Bittenden einzulegen und die Ver¬
mittlerin zwischen Gott, bezw. Jesu und den Menschen zu
spielen. Sie, nicht Christus, ist „das versöhnende Prinzip im
Christentum des Mittelalters“ (Schröder, pag. 31). Jhr werden
die Tugenden der Sanftmut, der Güte und Versöhnung zuge¬
schrieben (Ru. II, 131). Sie ist die heilige Jungfrau (Ru. II,
96), die Königin der Engel (Ru. II, 132), die Gesalbte (Ru. II,
131), die die Dornenkrone unseres Herren trägt (Ru. II, 143),
vor allem aber die Mutter Jesu Christi. Durch die Geburt ihres
Sohnes hat die Jungfrau die Welt aus dem Sumpf der Hölle
gerettet (Ru. I, 131). Anderseits wieder schauen die Menschen
zu ihr empor als zur Blüte des Menschengeschlechtes (Ru. II,
156). Unzählige Gedichte auf die Mutter Gottes, Rutebeufs
„les IX joies de Nostre-Dame“, „Un dit de Nostre-Dame“, u.
a. m. zeugen von der Achtung, die man ihr allgemein zollte. Die
Liebe zur Jungfrau Marie, gepaart mit dem Drange, eine mög¬
lichst innige Gemeinschaft mit dem religiösen Wesen zu
schaffen, ließ im Mittelalter jene Bezeichnungen und Anschau¬
ungen von einer Vermählung mit der Jungfrau Maria, bezw.
mit Jesu, zeitigen (Ru. II, 150). Als ein allgemein anerkanntes
Dogma galt es, daß sie vom Heiligen Geist befruchtet
worden sei (Ru. II, 155) und daß sie ihre Virginität vor und
nach der Geburt Christi bewahrt habe. Um sich diesen über¬
natürlichen Vorgang zu erklären, kam man auf den im Mittel-
alter häufig wiederkehrenden Vergleich der Virginität der
Gottesmutter mit einem Kirchenfenster, durch das 'die Sonne
ihre Strahlen sendet und es trotzdem nicht verletzt.
Lors fus aussi com la verriere
Par oü li raiz dou soleil passe:
Elle n’est pas por ce mainz entiere,
Qu’il ne la perce, ne ne quasse.
(Ru. II, 160).
Sie wird vor allem von den Frauen angerufen (Ru. II, 147);
denn jede Frau wird von ihr geliebt (Ru. II, 131), und ihr
Schutz wird als unfehlbares Mittel angesehen, um sich aus
Verlegenheiten zu ziehen. Sie scheut auch nicht zurück, selbst
in die Handlungen der Menschen einzugreifen. In Rutebeufs
„Miracle de Theophile“ entreißt sie dem Teufel Theophils
Verschreibungsbrief und gibt ihn dem reuigen Sünder zurück,
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und im Dit '„Du secrestain“ bewirkt sie auf die Bitten zweier
Liebenden hin, daß diese aus dem Gefängnis von ihrem Ver¬
führer, dem Teufel, in ihre Behausung zurückgebracht werden,
sodaß die Verfolger des Liebespaares glauben, nur geträumt
zu haben.
Wenn wir den reichen Marienkult verlassen und uns der
Heiligenverehrung zuwenden, so können wir zunächst fest¬
stellen, daß die Heiligen im Gebet nie allein angerufen werden,
sondern stets in Verbindung mit Gott. Selten werden sie als
Vermittler zwischen Gott und den Menschen erwähnt (Ru. I,
66). Großer Beliebtheit erfreuen sie sich jedoch bei Be¬
teuerungen. Von den Heiligen selbst stehen die Apostel in
erster Reihe; unter ihnen wiederum scheint der Apostel Paulus
sich der größten Beliebtheit erfreut zu haben. Er wird zu¬
weilen mit dem Apostel Petrus zusammengenannt, dessen Bei¬
wort „de Roume“ auf die spätere christliche Überlieferung
hindeutet (Ru. I, 155). Ein in ganz Frankreich bekannter
Heiliger ist der heilige Dionysius, dessen Epitheton „de France“
schon auf seinen weiten Wirkungskreis hinweist (N. 4904).
Die Namen der noch erwähnten Heiligen sind in alphabetischer
Ordnung: St. Andrieus (N. 4968), St. Bertelemien (Ru. II, 46),
St. Constancien, der in „Bretuel en Bianvoisis“ sein Heilig¬
tum besaß (N. 4888), St. Ernoul, der Schutzheilige der be¬
trogenen Ehemänner (Rose 9879), St. Fagon (N. 3385), St.
Fremin (N. 6190), St. Germain (Rose 15 197), St. Ghillain
(N. 5749), St. Gile (Rose 14 676), St. Grigoire (Ru. II, 50),
St. Jaque de Galice (Ru. I, 226), St. Jehan (Ru. 1, 164), St.
Julien (Rose 9583), Ste. Katerine (N. 4968), St. Lambert de
Liege, der in Flandern große Verehrung genoß (N. 4893),
St. Lienart (N. 5328) wird in Schiffsnot angerufen, St. Luc
(Ru. I, 226), Ste. Marie TEgytienne (Ru. II, 82), St. Martin de
Tours (N. 6190), der Erzengel Michael (Ru. I, 31), St. Nicholas
(N. 4968), St. Philebert (Rose 10 071), St. Piat de Sechin (N.
5749), St. Remi, der Täufer des Frankenkönigs Chlodwig
(N. 2751), St. Thibaut (Rose 15 422) und St. Vincent (Ru. II, 46).
Abgesehen von diesen Heiligen, die sämtlich in Be¬
teuerungen angerufen werden, schwört man auch bei dem
heiligen Leiden, das Jesus am Kreuze ertrug (N. 1608), beim
heiligen Kreuz (C. R. 1382), beim Thron Gottes, beim Himmel,
beim Firmament (N. 1644) oder bei der Seele seines Vaters
(Rose 2609). Wohl mehr um seinem Ärger durch einen Wort¬
schwall Luft zu machen, schwört bei Ru. II, 110 der betrogene
Ehemann gleichzeitig beim Blute, bei der Leber, beim Bruche
und beim Haupte. Ein frommer Christ scheut sich jedoch, zur
Bekräftigung seiner Worte einen dieser Namen in den Mund
zu nehmen. So wird von dem wegen seiner Frömmigkeit be-
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kannten Grafen von Poitiers, dem Bruder König Ludwigs IX.,
erzählt, daß sein größter Schwur „Par sainte Garie“ war,
eine Umgehung des Namens Sainte Marie (Ru. I, 59).
Der Christ betrachtete das Erdenleben nur als eine Über¬
gangsperiode. Wie die Heiligen sich ihre hohe Stellung in der
nächsten Nähe Gottes nur durch große Leiden und zuweilen
selbst durch den Märtyrertod erkauft haben, so streben auch
die Gläubigen danach, durch ein an Entbehrungen reiches
Leben, durch Ertragen von Versuchungen aller Art sich ein
besseres Dasein im Jenseits zu verschaffen (R. I, 226; N. 4353).
Gott selbst schickt viele Versuchungen, um den Glauben der
Menschen zu prüfen (Ru. I, 62). Besteht der Christ sie und
erduldet er selbst Marter um seinetwillen, — denn je schwerer
sie sind, desto größer ist die Freude bei Gott — so kann
ihm auch das Paradies sicher sein (Ru. I, 62). Gaben sind
Gott angenehm (Rose 8996), doch legen sowohl Jean de Meung
wie auch Rutebeuf schon mehr Gewicht auf die echt christ¬
liche Gesinnung, wenn sie sagen:
la bone pensee Puevre,
Qui la religion descuevre.
Ilec gist la religion
Selonc la droite entencion,
und (Rose 11 887)
Paradise ne pueent avoir
Por deniers ne por autre avoir.
(Ru. II, 88.)
Vor allem aber hat der fromme Christ seine Sünden zu
bereuen und Buße zu tun. Da niemand die Stunde seines Todes
weiß, soll jeder zur Abreise ins Jenseits bereit sein und sich
von seinen Sünden gereinigt haben. Bevor ein Heer in die
Schlacht zieht, wird deshalb eine Messe und Beichte abgehalten:
cius est enclos de boin mur
ki confies est et repentans. (N. 2240.)
Oft ist die Sündenlast so schwer, daß Reue und Buße nicht zur
Vergebung ausreichen. Erst die Teilnahme an einem Kreuzzug
kann dazu verhelfen (N. 5337). .
Wenn der Tod, den sich die mittelalterlichen Menschen mit
schwarzem Angesicht und mit der Keule in der Hand dachten
(Rose 16 839), sein Recht beim Menschen eingelöst hat, so
gehört ihm nur der Körper (Rose 8884). Denn es wurde
streng zwischen Körper und Seele geschieden (Ru. II, 164). Die
Seele gehört Gott, der im jüngsten Gericht alle um sich ver¬
sammelt und Gericht abhält. Wie man sich die Seele dachte,
ist schwer zu sagen. Einmal wird sie als ein gasförmiges
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Gebilde angesehen und vom Teufel in einem ledernen Sack
in die Hölle getragen (Ru. II, 88). Anderseits wieder wird
sie, z. B. bei den Höllenstrafen, rein körperlich gedacht.
Als den Ort jenes erhofften besseren und höheren Da¬
seins dachte man sich das Paradies, dessen Schlüssel Petrus
trägt (Ru. I, 220). Es wird von unseren Dichtern ein „geistiges“
genannt (Ru. II, 141). Ewige Freude herrscht dort oben (Ru. II,
141). Es wird bewohnt von den Guten mit Gott und mit
den Aposteln, Heiligen und Märtyrern zusammen in Gesell¬
schaft von elf Tausend Engeln, die vor Gott ihre Kerzen halten
(Rose 11 879).
Doch wehe dem, der auf Erden schlecht gehandelt und
beim Tode keine Reue gezeigt hat. Er fällt ohne Gnade dem
Ort der Verdammnis anheim (N. 5899). Die Phantasie des
Volkes und wohl noch mehr die der Diener der Kirche
schmückte die Hölle mit allerhand Gräßlichkeiten aus. Sie
ist ein Gefängnis (Ru I, 88), ein Sumpf (Rose 11 603), oder sie
wird auch mit einem großen, dunklen Loch verglichen (Ru. II,
238). Kein Sonnenstrahl dringt hinein, sie starrt vor Schmutz,
und stinkende Flammen erfüllen den Raum mit widerlichem
Geruch (Ru. II, 238, N. 7140). Dort wohnen die Teufel, hä߬
lich und schrecklich aussehende Gestalten (Rose 21 239), diables
(N. 5481), sathenas (N. 2651), anemis, als Feind Christi ante-
crists oder nach ihrem negierenden Wesen maufez genannt
(Ru. II, 88). (Vergl. zu maufe Gast. Paris in Rom. V. 367).
Ihr Fürst ist Lucifer (N. 7333). Die Teufel suchen die Menschen
vom rechten Weg abzubringen, sie in ihre Netze zu ziehen
und so die Seelen in ihr Reich zu bekommen (Ru. II, 119).
Sie bestricken fromme Leute mit verbotener Liebesleidenschaft
(Ru. ,,Dou secrestain“), betrügen sie und wenden alle mög¬
lichen Mittel an, um sie in ihre Gewalt zu bekommen. Kein
Wunder, wenn das Volk jede Mißhelligkeit, überhaupt alles
Unerklärliche dem Teufel zuschreibt (C. R. 524; 1188). Gegen
ihn allein sich zu verteidigen, sind die Menschen zu schwach;
Gott und die heilige Jungfrau müssen öfters helfend eingreifen
(N. 2652), und selbst der dem Teufel verfallene Mensch kann
noch von ihnen gerettet werden (Ru. „Miracle de Theophile“).
Den Teufel dachte man sich durchaus als menschliches
Wesen. Er redet mit den Menschen, nimmt von ihnen Gegen¬
stände an und fürchtet sich vor dem Gehängtwerden (Ru. II,
259). Seine Wohnung selbst ist eine Folterkammer größeren
Stiles. Der arme Sünder wird dort von ewiger Flammengut
gequält, in Kesseln wird er gekocht, oder auf dem Rost ge¬
braten, an einen Galgen wird er gehängt, kurz, alle möglichen
Martern werden dort angewendet (Ru. II, 251, Rose 20 201).
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Der vom Teufel umgarnte Mensch ist der Hölle ewig
verfallen. Für Pfeffers Ansicht (I, 16), „daß man nicht an die
Ewigkeit der Höllenstrafe glaubte“, fanden sich in unseren
Quellen keine Belege. Vielmehr deuten mehrere Stellen darauf
hin, daß man an keine Befreiung aus der Höllenqual dachte:
Eie (d. h. l’äme) sera arse en la flame
D’enfer le noir:
La la convendra remanoir.
(Ru II, 238.)
S’ame sera sans finement
O Lucifer sans definier. (N. 3738.)
Da auch in unseren Quellen keine Rede von einem Mittel¬
zustand zwischen Himmel und Hölle, dem Orte der Reinigung,
dem sog. Fegefeuer ist, so wird die Ansicht Schröders (pag. 58)
nur erhärtet, daß der Glaube vom Fegefeuer in dem Volke
keinen sonderlich großen Anklang gefunden zu haben scheint.
Wenn die christliche Religion auch die weltbewegenden
und regierenden Mächte in der Gestalt Gottes konzentriert hat,
so räumt doch der mittelalterliche Mensch auch Erscheinungen
und Gebilden der Natur einen gewissen Einfluß ein. So geben
die Kometen durch ihr Erscheinen Kunde von einem großen
Ereignis. Der Verfasser des Couronnements Renart meint, daß
man schon öfters Sterne gesehen habe, die nach der Wissen¬
schaft der Astronomie — denn Astronomie und Astrologie
sind im Mittelalter synonyme Begriffe — die baldige Ankunft
eines Thronerben ankündigten (C. R. 652). Man glaubte auch,
daß das Auftauchen eines Kometen den Tod eines Fürsten zur
Folge habe (Rose 19 476). Gegen letztere im Volke allgemein
verbreitete Ansicht wendet sich der fein gebildete Jean de
Meung. Er leugnet, daß die Kometen den geringsten Einfluß
auf das Geschick der Großen auszuüben vermöchten, „denn
die Fürsten sind es nicht würdig, daß die Himmelskörper irgend
welche Notiz von ihnen nehmen“ (Rose 19 520). In den
Träumen glaubt Guillaume de Lorris wie viele seiner Zeit¬
genossen eine Enthüllung der Zukunft durch Gott zu erblicken,
andere halten sie für ein Werk des Teufels (Rose 19 442), wieder
andere für reine Illusionen ohne Bedeutung (Rose 1 —11). In¬
teressant ist die ^Stelle im Couronnement Renart v. 212, wo
der Fuchs den Kuckuck bittet, ihm die Zahl der Jahre zu
nennen, die er noch zu leben habe. Durch das Rufen des
Vogels erhält er als Antwort die Zahl dreizehn. Einem selt¬
samen Aberglauben begegnen wir in Ru. „De la Dame qui fist
les trois tours“, wo die Frau durch Äußerlichkeiten sich über
das Geschlecht des zu erwartenden Kindes Gewißheit ver¬
schaffen will:
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Voirs est que je sui de vous grosse:
Si m’enseigna Pen ä aler
Entor le moustier sans parier
III tors, dire trois patrenostres
En Ponor Dieu et ses apostres;
Une fosse au talon feisse
Et par trois jorz i revenisse.
S’au tiers jorz ouvert le trovoie,
C’estoit I filz qu’avoir devoie,
Et s’il estoit dos, c'estoit fille.
Ein weitverbreiteter Glaube war es, daß gewissen Steinen
große Kraft innewohne, teils mit vor Krankheit schützender,
teils mit heilender Wirkung. Wird der Gürtel einer Schönen
geschildert, so vergißt selten der Dichter den schönen klaren
Stein von seltener Kraft zu erwähnen, der daran befestigt ist.
Er schützt vor allen Krankheiten, heilt Zahnschmerzen (Rose
1084), macht den Träger sicher gegen Gift, macht ihn stark in
der Liebe, kurz, er gilt einem Menschen mehr als alles Gold
Roms (Rose 1075). Im „Dit de Pherberie“ von Rutebeuf werden
sogar Rubine und Diamanten genannt, die Tote wieder zu er¬
wecken vermögen (Ru. II, 53).
Neben den Steinen legte der Volksglaube auch Kräutern
und Wurzeln eine nicht nur heilwirkende, sondern auch zauber¬
kräftige Gewalt bei. Als Renart als Arzt verkleidet vor dem
König erscheint, nennt er als seine Heilmittel Kräuter, Wurzeln
und Steine von verschiedener Heilkraft:
s’ai
sour moi ierbes, pieres, racines
De moult diverses medecines.
(N. 4796.)
Dem Magneten schreibt man die wundertätige Kraft zu,
untreue Frauen zu veranlassen, nachts im Schlaf dem Ehemann
von ihren Verfehlungen zu erzählen (N. 4670). Der Magnet
muß zu diesem Zweck unter das Kopfkissen der untreuen Frau
gelegt werden.
Vor den sogenannten Schwarzkünstlern hatte man große
Achtung. Die Vertreter der Nigromancie waren gelehrte Leute,
und man hielt sie für fähig, die Menschen nach ihrem Willen
beeinflussen zu können (C. R. 2953; Rose 15 340). Ihr ver¬
wandt war die Magie. Jehan de Meung schenkt beiden Künsten
keinen Glauben:
De magique, Part au deable,
Je n’en crois riens, soit voir ou fable.
(Rose 15 567; ib. 15 342.)
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Die Alchimie hält er jedoch für eine wahrhafte Kunst, mittelst
der man große Wunder finden kann (Rose 17 019). Vor allem
steht er mit Erstaunen jenen Kräften gegenüber, die die
Lagerung und Bindung der Elemente bewirken, wie sie z. B. bei
der Herstellung des Glases vor sich geht. Wie ist das mög¬
lich ! Denn:
Si n’est pas li voirres fogieres (Potasche)
Ne fogiere ne v’est pas voirre.
(Rose 17 036.)
Sämtliche Metalle bestehen nach der damaligen Ansicht
aus denselben Urelementen, aus Schwefel und Quecksilber.
Die Verschiedenheit in Farbe und Gewicht ist nur eine Folge
der verschiedenen Beimischungen von Unreinlichkeiten (Rose
17 049 ff). Ein Meister der Alchimie müßte es fertig bringen,
aus diesen beiden Elementen, aus Quecksilber und Schwefel,
Gold herzustellen (Rose 17 071). Doch ist auch Jean de Meung
sich schon seiner menschlichen Ohnmacht bewußt:
Travaillent tant cum il vivront
Ja Nature n’aconsivront [werden erreichen).
(Rose 17 082). —
II. Von der Geistlichkeit.
Zahlreiche Äußerungen über das Leben und Treiben der
Geistlichen und der Mönche finden sich in unseren Texten.
Vor allem ist es Rutebeuf, der unerschrockene Kämpfer gegen
die Verderbtheit seiner Zeit, der immer wieder gegen die Diener
der Kirche das Wort ergreift und offen und furchtlos jhre
Schäden aufdeckt. Ein erschreckendes Bild der Verdorbenheit
und des Lasters enthüllt sich vor unseren Augen. Mag auch
manche Äußerung Rutebeufs durch seinen persönlichen Haß
gegen die Geistlichkeit und die Mönche etwas übertrieben sein,
— Spielmann und Cleriker waren nie Freunde — ein wahrer
Kern muß den Anklagen doch zu Grunde gelegen haben, um
so mehr, als die Verfasser des Couronnement Renart und des
Renart le Nouvel und selbst der gelehrte Jean de Meung eben¬
falls in heftigen Angriffen gegen das Treiben dieser Leute ihre
Stimmen erheben. Und woher sollten die Verfasser der Fab-
Kaux ihren Stoff zu den vielen Erzählungen genommen haben,
in denen sie die Verirrungen des Priesterstandes ihrem Pub¬
likum preisgaben, wenn nicht aus dem Leben selbst. Die
Kirche unternahm es auch nicht, sich gegen diese Angriffe zu
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18
wehren oder gegen die Urheber solcher Schmähungen vorzu¬
gehen. Es wäre ihr ein leichtes gewesen, ihnen den Mund zu
verbieten. Vielmehr gab sie stillschweigend die zahlreichen
Verfehlungen des Klerus zu, und in zahlreichen Edikten und
Beschlüssen suchte sie der eingerissenen Verwilderung zu
steuern (vergl. Bedier pag. 337).
Stets greifen die Dichter nur die Diener der Kirche ^n,
das Dogma und die Lehre selbst bleiben unberührt.
Si ne voil-ge mie blasmer
Religion, ne diffamer,
En quelque abit que ge la truisse.
(Rose 11783).
Ihr sind sie treu ergeben. Um so schmerzlicher berührte es
sie, daß sie sehen müssen, wie die Kirche von ihren eigenen
Dienern bedroht wird.
Eglise, tu es mal-baillie,
Se ta eite est assaillie
Par les Chevaliers de ta table.
(Rose 11905.)
Si fil sont endormi; n’est nul qui por li veile;
Elle est en grant peril se Diex ne la conselle.
(Ru. II, 31.)
Eine allgemeine Unzufriedenheit hat sich gegen die Geist¬
lichen erhoben. Die Gelübde, die sie einst abgelegt haben,
werden nicht mehr gehalten; ihr Leben hat sich zu sehr ver¬
weltlicht (N. 7300). Ihr eigenes Handeln steht in großem
Widerspruch mit dem, was sie den Leuten predigen und von
ihnen als Christentugenden verlangen.
De foi, de pais et de concorde
Est lor langue mult replenie,
Mes lor maniere me recorde
Que dire et fere n’i soit mie.
(Ru. I, 178.)
Faus papelars, faus ypocrits,
Fausse vie menez et orde.
• •••••
Tels genz font bien li siede pestre
Qui par dehors samblent bons estre
Et par dedens sont tuit porri!
(Ru. II, 73.)
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Diese Worte klingen durch alle Anklagen hindurch. Und
wem fiele nicht die Gestalt des Tartuffe von Moliere ein, wenn
„Papelardie“, die „Scheinheiligkeit“, in Gestalt einer Nonne
folgendermaßen geschildert wird:
El fait dehors le marmiteus,
Si a le vis simple et piteus,
Et semble sainte creature;
Mais sous ciel n’a male aventure
Qu’ele ne pense en son corage.
Moult la ressembloit bien l’ymage
Qui faite fu ä sa semblance,
Qu’el fu de simple contenance;
Et si fu chaucie et vestue
Tout ainsinc cum fame rendue.
En sa main un sautier tenoit,
Et sachiez que moult se penoit
De faire ä Dieu prieres faintes,
Et d’appeler et sains et saintes.
(Rose 417.)
Im Gewände der Kirche und voll von Demut schleichen sie
sich in Familien ein und suchen in deren Geheimnisse einzu¬
dringen. Man kann ihnen den Eintritt ins Haus nicht wehren;
einmal zurückgewiesen, würde ihre gehässige Zunge bald dem
ungastlichen Haus etwas nachzusagen haben. Außerdem galt
es als schwere Sünde, einen Geistlichen so zu beleidigen: sah
man doch in den mit der Kutte angetanen Cleriker einen Diener
Gottes, so daß die ihm zugefügte Kränkung auf Gott selbst fiel
(Ru. II. 212).
Versteckt und voll Scheinheiligkeit gehen sie in ihren
Plänen vor; auch unerlaubte Mittel sind ihnen dabei nicht
fremd (Ru. I, 247). So nehmen sie es mit der Wahrheit wenig
genau; wenn es zu ihrem Vorteil ist bezeugen sie auch, was
sie nie gesehen haben (Ru. II, 228).
„Traut ihnen nicht“, ruft der Verfasser des Renart le
Nouvel seinen Zeitgenossen zu:
Por Dieu ne nous i fions mie.
* •»
Car ce seroit double folie.
(N. 6677.)
Les ovres regarder deves,
Se vous n’avez les iex creves;
Car s’il font tel que il ne dient.
(Rose 11843.)
„Und was hat Frankreich anderes von seinem ergebenen
Gehorsam gegen Rom, als daß ihm nur desto öfters die Wolle
geschoren wird?“
2 *
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Desous la loi de Rome n’a nule region
Qui ä Rome obeisse de euer se France don,
Et de s’obedienche a si bei guerredon
Que on li tolt souvent sa laine et sa toison.
(Ru. II, 35.)
Viele Geistlichen benutzen ihre Stellung, um Ehre, An¬
sehen und vor allem Reichtümer zu erwerben (Rose 5822).
Nach ihren Statuten sollen sie von dem Patrimonium nur so
viel verbrauchen, um genügsam leben zu können, das übrige
aber unter die Armen verteilen (Ru. II, 18). Sie können jedoch
eher einen Armen vor Hunger oder Kälte sterben sehen, als
ihm mit ihrem Überfluß zu helfen.
Ein jeder strebt danach, recht viele irdische Güter zu
erlangen.
Chascuns bee ä avoir, povretes est haie.
(Ru. II, 38.)
Der beste Priester ist der, der sich darauf versteht, am
meisten zusammenzutragen.
Plus est bons clers qui plus est riches.
Et qui plus a s’est li plus chiches.
(Ru. II, 26.)
Es ist ihm auch kein Mittel zu gemein, um zu Besitz zu
gelangen; Lug und Trug sind ihm bereite Helfer (Ru. I, 247).
Rücksichtslos geht er vor, um sein Ziel zu erreichen.
II vuelent fere lor voloir,
Cui qu’en doie le euer doloir;
II ne lor chaut, mes qu’il lor plese,
Qui qu’en ait paine ne mesese.
(Ru.I, 230.)
So häuft er Güter an, bis der Tod ihn hinwegruft. Ironisch
fragt Rutebeuf nach der Herkunft all des gesammelten Geldes:
Clerc et prelat qui aünei
Ont l’avoir et l’or et l’argent,
L’ont-il de lor loiaul chatei?
Lor peres en ot-il avant? (Ru. I, 176.)
Die Antwort mag ihm ein Priester aus dem Rosenroman
geben:
I’ai des deniers, j’ai de l’aumaille;
Tant ai fait, tant ai sermone,
Tant ai pris, tant m’a-l’en done
Tout le monde par sa folie,
Que je maine vie jolie. (Rose 12008.)
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21
Von einem anderen Geistlichen weiß uns Rutebeuf in
seinem „Testament de PAne“ zu berichten, dessen ganzes
Streben darauf gerichtet war, Reichtümer zu sammeln. Da er
eine „gute Kirche“ hatte, das heißt Priester in einem wohl¬
habenden Kirchspiel war, so verstand er es auch, in kurzer
Zeit viel Geld und Kleider zusammenzutragen. Seine Scheuern
waren mit Getreide bis oben an gefüllt. Um aus seinem Ver¬
kauf recht viel zu lösen, wartete er damit bis auf die Zeit nach
Pfingsten, wo es am höchsten im Preise stand. Dieses Fabliau
enthält auch ein treffendes Beispiel von der Bestechlichkeit der
höheren Geistlichen. Der oben genannte Dorfpriester hatte einen
Esel, der ihm zwanzig Jahre lang gedient und ihn zu seinem
Reichtum mit verholten hatte. Der Esel starb. Der Priester
läßt ihn aus Dankbarkeit auf dem Friedhof begraben. Sein
Bischof, der durch eine üppige Hofhaltung in Schulden geraten
ist, erfährt zufällig davon. Um sich etwas aus der Geldverlegen¬
heit zu helfen, will er dem Priester wegen Entweihung des
Kirchhofes eine Geldstrafe auferlegen. Er läßt ihn vor sich
kommen, gewährt ihm jedoch einen Tag Frist zur Verteidigung.
Aber
Li prestres ne s’esmaie mie,
Qu’il seit bien qu’il at bone amie:
C’est sa borce, qui ne li faufc
Por amende ne por defaut.
Als der Gerichtstag kommt, gelingt es dem Priester, von den
anwesenden Geistlichen unbemerkt an den Bischof heranzu¬
kommen und ihm eine Börse mit zwanzig Pfund in die Hand
zu drücken. Sein Esel, der ihm zwanzig Jahre treu gedient habe,
habe ihm, dem Bischof, diese Summe testamentarisch ver¬
macht, damit seine Seele von der Hölle befreit werde. Und
der Bischof nimmt das Vermächtnis mit den Worten an:
„Diex Pament.
Et si li pardoint ses mesfais
Et toz les pechiez qu’il a fais!“
Mit dem Besitz war auch die Schwelgerei in die Geist¬
lichkeit eingezogen. Daß viele Priester im Konkubinat mit
einer „amie“ lebten, war allgemein bekannt, was jedoch nie¬
manden hinderte, bei ihnen die Messe zu besuchen (Rose
12 673).
Chanoine seculier mainnent tres bone vie:
Chacuns a son hostel, son leu et sa mainie,
Et s’en i a de tex qui ont grant signorie,
Qui poe font por amis et asses por amie.
(Ru. II, 38.)
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22
Schlimmer war es jedoch, wenn Priester den ehelichen Frieden
einer Familie zu stören suchten und einer verheirateten Frau
nachstellten. Daß sie oftmals ihr Ziel erreichten, lehren uns
zahlreiche Beispiele aus der Fabliauxdichtung. Mäßigkeit, die
sie den Gläubigen predigten, sucht man vergebens bei den
Geistlichen. Wohlbeleibtheit war ein Privilegium der Kleriker
geworden, und Äbte und Prioren mußten öfters als Muster
großer Körperfülle herhalten (Rose 2567). Im Rosenroman
gibt Faux Semblant, als man ihn fragt:
„Tu vas preeschant astenance?“
die Antwort:
„Voire, voir, mes g’emple ma pance
De bons morciaus et de bons vins
’ Tiex comme il affiert ä devins.“
(Rose 12 155.)
Die Arbeit kann ihm nicht behagen, lieber mischt er sich unter
die Leute und belauscht ihre Geheimnisse.
Car laborer ne me puet plaire,
De laborer n’ai-ge que faire:
Trop a grant paine en laborer;
J’aim mieux devant les gens orer,
Et affubler ma renardie
Du mantel de papelardie., (Rose 12 444.)
Einen guten Wein, saftiges Fleisch und weiße Betten schätzen
sie über alles. Was kümmert es sie, ob das Heer der Christen
im Orient sich in schweren Kämpfen mit den Heiden herum¬
schlägt, wenn sie nur Fleisch und guten Wein haben und der
Pfeffer recht stark ist! (Ru. I, 111). Bei vielen besteht das
Tageswerk in Schlafen, Essen und Beten. Richtiges Arbeiten
haben sie verlernt (Ru. II, 118). Es fällt ihnen schwer, früh
in die Messe zu gehen, und am liebsten sagen sie den Psalm
her, der nur zwei Worte hat, nämlich den „Deo gratias“, nach
dem Essen (Ru. I, 112). Und wenn das Messelesen nicht noch
bezahlt würde, wie oft würde man sie wohl vor dem Altar
stehen sehen? (Ru. II, 19).
Um sich der Völlerei hingebert zu können, scheuen sie
auch nicht, ihr Amt zu mißbrauchen. So versprechen sie leicht¬
fertig Leuten das Paradies, die sie mit Speise und Trank
gut bewirten, mögen sie auch sonst recht schlechte Christen sein.
A cels le*) donent et delivrent *) [le paradis]
Qui les aboivrent et enyvrent
Et qui lor engressent les pances v
D’ autrui chateis, d’ autrui substances,
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23
Qui sont, espoir, bougre parfet,,
Et par paroles et par fet,.
Ou usurier mal et divers,
Dont el sautier nous dist li vers
Qu’il sont ja dampne et perdu.
(Ru. I, 225.)
Von den Armen haben sie wenig zu erhoffen. Sie meiden sie
daher und von ihnen gerufen, lassen sie lange auf sich warten.
Um die reichen Leute jedoch bemühen sie sich sehr. Sie
suchen sich Eingang in ihre Häuser zu verschaffen und lassen
sich von ihnen Empfehlungsschreiben ausstellen, in denen die
christlichen Tugenden der Priester gelobt werden.
.... Por avoir des gens loenges,
Des riches homes, por losenges,
Empetrons que letres nous doignent
Qui la bonte de nous tesmoignent,
Si que Pen croie par le munde
Que vertu toute en nous habunde.
(Rose 12 607.)
Vor allem suchen diese Kleriker sich die Gunst der Frauen zu
erwerben. Die Frauen, im allgemeinen dem Religiösen mehr
zugewandt als der Mann, ließen sich leicht von dem frömmeln¬
den Wesen einnehmen. „Wenn die Damen reich und schön
sind und sich einem Geistlichen anvertrauen, dann werden sie
nie“, wie im Rosenroman Faux-Semblant zweideutig sagt, „in
Gefahr laufen, irre zu gehen.“
Ge n’ai eure de povre gent,
Lor estat n’est bei ne gent.
• •••••••
Ces hautes dames palasines.
Ces borgoises cointes et fieres
Ces nonains et ces damoiseles,
Por que soient riches ou beles,
Soient nues ou bien parees,
Ja ne s’en iront esgarees.
(Rose 12 513.)
Ein weiteres Laster der Kleriker, über das die Dichter
sich öfters zu beklagen haben, ist der Geiz. „Und wenn der
Priester gut gefütterte Kleider hat, die Börse mit Danaren ge¬
füllt ist, und Kisten und Kasten bis oben an voll sind, so
hütet er sich, selbst zur Ehre Gottes etwas herzugeben.“ „Der
Geiz heißt ihn sein Gut zusammenzuhalten und immer mehr
dazu zu tragen“ (Ru. II, 18).
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Zuweilen scheuten sich die Geistlichen selbst nicht davor,
das Gut der Kirche zu eigennützigen Zwecken anzugreifen. In
Rutebeufs „Du Secrestain et de la Famme au Chevalier“ wird
uns von einem Kanonikus erzählt, der mit der Frau eines
Ritters durchgeht und alles mit sich nimmt, was der Kirchen¬
schatz in sich birgt: Kleider, Pelze, Gold, Kreuze und Kelche.
Ein anderer, Ytiers von Reims, benutzt das Gut der Kirche
dazu, um seinen Verwandten Vieh zur Hochzeit zu schenken
(Ru. I, 220).
Daß die Geistlichen für diese Verfehlungen nicht ungestraft
bleiben würden, davon war man allgemein überzeugt. Die aus¬
gleichende Gerechtigkeit Gottes würde auch ihnen am jüngsten
Tag den wohlverdienten Lohn geben (Ru. II, 28).
Nicht immer gingen Geistliche und Mönche friedfertig"
nebeneinander. Durch das Aufkommen der Orden und durch
die Amtsbefugnisse, die sie allmählich vom Heiligen Stuhl in
Rom erlangt hatten, war die Macht und der Einfluß der Priester
stark beeinträchtigt worden. Vordem hatten sie allein das Recht
besessen, die Beichte abzunehmen, dem reuigen Sünder Ab¬
solution zu erteilen und Buße aufzuerlegen. Diese Befugnis
legte große Vorteile in ihre Hände. So erhielten sie von ihren
Beichtkindern oft reiche Geschenke (Rose 12 125). Zuweilen
wird auch darüber geklagt, daß die Priester das Beichtgeheimnis
nicht wahrten und sich Vorteile daraus zu verschaffen suchten
(Rose 12 533). Als die Dominikaner- und Franziskanerorden
vom Papst Innozenz das Privileg erhielten, Beichte abzunehmen
und Absolution zu erteilen, .entstand bei den Geistlichen ein
Sturm der Entrüstung (N. 7479; ib. 7525). Waren sie doch in
ihrem Einfluß und in ihren Einnahmequellen ernstlich bedroht.
Konzile wurden von ihnen einberufen, und es wurde be¬
schlossen, daß jeder Gläubige seine Sünden nur seinem
Priester und nicht einem anderen beichten solle (N. 7513).
Im Renart le Nouvel wird uns ein in diesem Streit besonders
eifriger Verfechter der geistlichen Sache genannt, Michel Waren-
ghien, der Bischof von Tournay, der auf dem Konzil zu Reims
im Jahre 1291 sich heftig gegen die Privilegien und die An¬
sprüche der Bettelorden wandte (N. 7561). Selbst bei dem
Papst legte man Protest ein. Es war gleichzeitig eine starke
Mißstimmung gegen die Beguinen vorhanden, die auch, wie uns
die Geschichte lehrt, zu ihrer Auflösung führte (N. 7514).
Ein anderer Gegenstand des Haders zwischen Geistlichen
und Orden bildete das Testament des Gläubigen und seine Voll¬
streckung. Verschiedene Konzile, so das zu Narbonne im Jahre
1227, hatten bestimmt, daß ein rechtsgültiges Testament nur
in Gegenwart des Priesters gemacht werden könne, zu dessen
Kirchspiel der Gläubige gehörte; in Gegenwart eines anderen
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aber nur, wenn dieser abwesend war. Jetzt beanspruchten auch
die Mönchsorden dieses Recht, das die Priester ihnen aber
nicht zugestehen wollten, in der verständlichen Furcht, sich
dadurch materiell schwer zu schädigen. Schon vor diesen oben¬
genannten Bestimmungen hatte die Kirche darauf geachtet,
daß der fromme Christ in seinem Testament für die Armen
ein Legat aussetzte, um sich dadurch von seinen Sünden zu
erleichtern. Was war natürlicher, als daß die Geistlichen, die
dieses Legat zu verteilen hatten, bald ihr Amt mißbrauchten
und sich auf Kosten der Armen bereicherten. Die folgende Stelle
Rutebeufs in „Les Plaies du Monde“ enthält eine scharfe Kritik
gegen diejenigen, die die Mönche zu Testamentsvollstreckern be¬
stimmen und die Art, wie diese sich ihres Amtes entledigen.
Se gent d’ordre Font entre mains,
Et il en donent (c’est le mains),
S’en donent por ce c’on le Sache,
XX paire de sollers de vache
Qui ne lor coustent que XX sols:
Or est eil sauves et assous!
(Ru. II, 27.)
Am liebsten suchen sie einem Reichen in seinen letzten
Stunden beizustehen, um ihn in seiner Todesangst zu bewegen,
ihren Orden im Testament zu bedenken (Ru. I, 229 ). Ist er
gestorben, dann tun sie nicht das geringste für sein Seelenheil:
La montance d’un seul festu
N'en donront ja quis por lor äme.
Höchstens (Ru. I, 229 .)
.il avient par mecheance
Qu’il en donnent por reparlance
XX paire de solers ou trente:
Or est sauve Farme dolante.
(Ru. I, 139.)
Recht angenehm war es ihnen, wenn ein Ketzer (bougres =
bulgarus) oder ein alter Wucherer ohne Beichte gestorben war;
denn dann fiel ihnen das hinterlassene Vermögen gesetz¬
lich zu.
Que sont les deniers devenuz
Qu'entre Jacobins et Menuz
Ont receuz de testament,
De bougres por loiauz tenuz
Et d’usuriers viex et chenuz
Qui se muerent soudainement?
(Ru. I, 123.)
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26
Die Anklagen, die sich gegen die Priester richten, wieder¬
holen sich in verstärktem Maße in den Angriffen gegen die
Ordensangehörigen. Die Orden hatten sich bei ihrer Gründung
gut eingeführt. Sie hielten streng ihre Gelübde: Armut, Keusch¬
heit und Gehorsam. Gott ehrten sie durch Fasten, Bu߬
übungen und durch fleißiges Beten (Ru. 11, 286). Demütig
baten sie die Leute um Brot und verdienten sich den größten
Teil ihres bescheidenen Unterhaltes durch der Hände Arbeit
(Ru. II, 207). Von dem, was sie erübrigten, gaben sie den
Armen. Von dem Geist der Askese erfüllt, trugen sie grobe
Kleider und hatten ihre Wohnstätte in einfachen Häusern
(Rose 12 222). Doch bald änderten sie diese asketische Lebens¬
führung. Sie lernten die Wohltaten des Besitzes kennen, die
einfache Kost behagte ihnen nicht mehr, und feine Kleider
traten an Stelle der früheren groben. Kurzum:
.... lor conscience
Eslarghissent, lor passience
Estrecent. (N. 7433.)
Ein Kloster nach dem andern entstand im Laufe des XIII. Jahr¬
hunderts, und namentlich waren es die Bettelorden, deren Aus¬
breitung als schwere Plage empfunden wurde. Zählt doch
Rutebeuf zu seiner Zeit gegen zwanzig dieser Kongregationen
in Paris (Ru. II, 17.). Jeder Orden strebte danach, möglichst
viel Besitz und viele Anhänger und damit auch größeren Ein¬
fluß zu gewinnen (N. 7345). „Alle sind Knechte der Hab¬
sucht“, klagt der Dichter.
Toz sont sers ä covoitise.
Toz iors vuelent sanz doner prendre,
Toz jors achatent sans riens vendre,
II tolent, Ten ne lor tolt rien.
(Ru. II, 15.)
Da es bei der großen Anzahl von Orden schwer war, durch
Betteln allein genügend zu erlangen, griffen die Mönche oft
zu Mitteln, die mit Gesetzen der Religion wenig im Einklang
standen. Schmeichelei, Heuchelei und selbst Betrug und Lüge
mußten zu diesem Zweck herhalten (Rose 8851). Mancher
gab dem aufdringlichen Mönch nur, um ihn los zu werden.
II sunt maint doneor en terre
Qui por ce donent, au voir dire,
Qu’il ont honte de Tescondire,
Ou li requerans lor ennuie,
Si li donent por qu’il s’enfuie.
(Rose 12317.)
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27
Es hatte sich allmählich bei den Orden die Erfahrung heraus¬
gebildet, daß man mit den weltlichen Künsten am weitesten
komme.
Cil qui plus set de Part du siede,
C’est le meillor selonc lor riegle.
(Ru. 11, 16.)
Darum wählen auch im „Renart le Nouvel“ die beiden Orden
der Franziskaner und Dominikaner Renart, d. h. die List und
Verschlagenheit, zu ihrem Oberhaupt. Denn:
. . . en lui avont sage paistre
Por avoir argent et ormier
A leur ordre mouteplier. (N. 7368.)
Das Leben in den Klöstern verflachte und verweltlichte mehr
und mehr. Es traten Leute in die Orden ein, deren Gesinnung
wenig mit den ernsten Absichten ihrer Gründer harmonierte
und die das geistliche Kleid nur als Mittel zum Zweck ansahen.
11 n’a en tout cest mont ne bougre, ne herite,
Ne fort popelican, vaudois ne sodomite,
Se il vestoit Fabit oü papelars s’abite,
C’on ne le tenist ja ä saint ou ä hermite.
(Ru. 11, 212.)
Bald mußten auch die Gläubigen erkennen:
L'abis ne fet pas Termite.
(Ru. 11, 63.)
Die Orden unter sich aber sahen mit Neid und Haß auf
einander. Ein Kloster gönnt dem andern nichts, und sie wün¬
schen sich gegenseitig in das tiefste Meer versenkt (Ru. II, 17).
Wie die Geistlichen schätzen auch sie die Mäßigkeit wenig.
Wein und gutes Essen geht ihnen über alles. Das hindert sie
aber nicht, den Leuten ihre unschuldigen Vergnügen zu mi߬
gönnen und ihnen das Tanzen und die Reigen, sowie alle Be¬
lustigungen durch Spielleute zu untersagen (Ru. II, 74). Das
Gelübde der Keuschheit wird wenig geachtet. „Die Chastee
hat viele Gegner in den Klöstern und Abteien; alle haben sich
gegen sie verschworen“ (Rose 9767). Das Fabliau „De frere
Denise“ von Rutebeuf wendet sich in scharfen Worten gegen
die Scheinheiligkeit und Lüsternheit der Mönche. Ein schwär¬
merisches junges Mädchen, die Tochter eines Ritters, schlägt
alle Heiratsanträge aus, da sie heimlich ihre Jungfrauschaft
Gott und der heiligen Mutter gelobt hat. Von den Franzis¬
kanermönchen, die in dem Hause ihrer Mutter verkehren, ver¬
traut sie einem derselben, dem Bruder Simon, ihren Wunsch
an, ins Kloster zu gehen. Ein teuflischer Plan steigt in dem
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Bruder auf: er will sie mit in sein Kloster nehmen und sie
seinem Willen gefügig machen. Er verspricht ihr den Heiligen¬
schein, wenn sie wie er und seine Brüder das Leben des hei¬
ligen Franziskus führe. Listig weiß er das schwärmerische
und unerfahrene Mädchen so zu „bezaubern“, daß sie sich die
Haare schneiden läßt und in Männerkleidern in das Kloster
geht. Dort erhält sie die Tonsur und wird als Mönch einge¬
kleidet. Als „frere Denise“ lebt sie unerkannt unter den Brü¬
dern, aber ganz in der Gewalt des sinnlichen Simon. Dieser
will auf seinen Reisen, die er in Ordensgeschäften zu machen
hat, nur von frere Denise begleitet sein. Auf einer solchen
Reise kommt er auch in das Haus eines Ritters. Die Frau, der
das weibliche Aussehen des frere Denise auffällt, deckt end¬
lich den Betrug auf. Das arme Mädchen wird aus den Händen
des lüsternen Mönches befreit und der Mutter zurückgeführt.
Bruder Simon aber muß zur Buße eine beträchtliche Summe
Geldes zum Heiratsgut des Mädchens geben. Ein Gatte für
sie läßt auch nicht lange auf sich warten. —
Wenn wir im folgenden zu der Aufzählung der in unseren
Texten erwähnten Orden übergehen, so müssen an erster Stelle
die Orden der Franziskaner und Dominikaner genannt werden.
Die Franziskaner, deren Orden von Franz von Assisi im Jahre
1210 gegründet wurde, nannten sich aus Bescheidenheit auch
„freres-menus“ oder „mineurs“ (Ru. I, 203). Am häufigsten
wurden sie jedoch „cordeliers“ genannt, nach der Schnur, die
sie um die Hüften trugen und in der sich drei Knoten befanden.
Sie waren mit grauem Tuch bekleidet; Mantel und Kapuze
waren von gleicher Farbe (Ru. I, 188). Um den Hals trugen
sie einen Rosenkranz (psautier N. 1436). Sie wurden zusammen
mit den Dominikanern am meisten in der damaligen Zeit an¬
gegriffen und scheinen am unbeliebtesten gewesen zu sein.
Sie besitzen alle die oben angeführten Untugenden. Doch
scheinen sie großen Einfluß besessen zu haben. Rutebeuf
berichtet uns, daß erst kürzlich wieder höhere adelige Per¬
sonen in den Orden eingetreten seien, und auch Ludwig IX.
schenkte ihnen seine Gunst in reichem Maße (Ru. I, 214,
ib. 126).
Der zweite Orden, der der Dominikaner, wurde im Jahre
1215 gegründet. Sie führten auch den Namen „freres-
precheurs“, „freres-predicateurs“ (Ru. II, 206; ib. I, 203), im
allgemeinen wurden sie jedoch in Frankreich „jacobins“ ge¬
nannt, weil ihre erste Niederlassung in Paris eine ehemalige
Herberge für Pilger des heiligen Jakobus von Compostela war.
Über die Kleidung der Jakobiner erfahren wir nur, daß sie
„vestu de robe blanche et noire“ waren (Ru. I, 181) und ihre
Ordensregeln ihnen untersagten, ein Hemd zu tragen (Ru. 1,
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29
189). Sie haben ohne Zweifel schon zu Rutebeufs Zeiten den
größten Einfluß besessen. Rutebeuf nennt sie die Herren von
Königen, Prälaten und Grafen und sagte von ihnen, daß sie
sowohl Paris wie Rom, König wie Papst in ihrer Gewalt
hätten (Ru. I, 192; ib. II, 207). Der Universitätsstreit, in dem
sie eine große Rolle spielten, bestätigt uns nur diese Aussagen.
Denn durch den Papst zwangen sie König Ludwig IX., sich
ihrem Willen zu beugen und ihren heftigsten Gegner, den
Guillaume de Saint-Amour vom Kampfesplatz zu verbannen
(vergl. Kap. IV). Sie haben das Gelübde der Armut geleistet
aber trotzdem große Reichtümer angehäuft.. Ihre ersten Nie¬
derlassungen waren unansehnliche Häuser; jetzt haben sie
große Paläste an ihre Stelle gesetzt. Die Mittel dazu haben
ihnen Almosen und Legate gegeben, die um ihr Seelenheil
beängstigte Gläubige ihnen vermacht haben (Ru. I, 210). Denn
ihnen vor allem gelten die häufigen gegen die Geistlichkeit
und die Orden gerichteten Vorwürfe der Habsucht und |der
Erbschleicherei; sie waren es, die Guillaume de Saint-Amour
„pseudo-praedicatores, otiosos, penetrantes domos, thalamorum
regalium subintratores“ nannte. „Wer sie nicht zum Testa¬
mentsvollstrecker macht, der hat Ursache, für seine Seele zu
bangen“ (Ru. I, 192). Ihr Haß ist zu fürchten, und Rutebeuf
selbst hält es für angebracht, ihnen gegenüber sich reserviert
zu verhalten:
Je qui redout ma teste fole,
Ne vous di plus mais qu’il sont home,
(Ru. I, 192).
d. h. daß auch sie voll menschlicher Leidenschaften und Fehler
sind.
Die Augustiner, der Orden der weißen Mönche, leben
friedlich im Überfluß dahin. „Man sollte sie nur morgens und
abends daran erinnern, daß ein gutes Leben für die Seele Gift
ist“. (Ru. II, 39).
Die Benediktiner, der Orden der schwarzen Mönche,
taten früher viel Gutes. Doch jetzt haben sie sich von Gott
abgewandt (Ru. II, 39).
Der Orden der Karmeliter, nach ihrer gestreiften Klei¬
dung in Frankreich allgemein „Barres“ genannt, tat sich in
Paris erst im Jahre 1254 auf und war daher nach der Meinung
Rutebeufs viel zu spät gekommen, da alles bereits unter die
anderen Mönche verteilt war (Ru. II, 43). Sie hatten ihre
Niederlassung neben dem Nonnenkloster der Beguinen. Dieser
Umstand gab denn auch den Stoff zu mancher pikanten Er¬
zählung (Ru. I, 189).
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Der Orden von Chartreu x war in den sechziger Jahren
des dreizehnten Jahrhunderts aus der Provinz nach Paris ver¬
legt worden. Er scheint zu jener Zeit sich ziemlicher Achtung
erfreut zu haben, denn Rutebeuf weiß ihm keinen schweren
Vorwurf zu machen (Ru. I, 199).
Die Mönche von Citeaux sind rechtschaffene und gläu¬
bige Christen; nur paßt es sich nicht für einen Orden, Han¬
delsgeschäfte zu treiben (Ru. II, 40). (Dieses Privilegium war
ihm wirklich erteilt worden).
Die Wilhelmiten (Guillemins) und Herrn iten (Her-
mins) sind ebenfalls ihrem früheren Wesen untreu geworden
(Ru. I, 200; ib. 206).
Der Orden von Premontrc ist durch Stolz und Hab¬
sucht geblendet. Seine Mitglieder waren weiß gekleidet
(Ru. II, 41).
Ein anderer Orden, der der Sach et en (l’ordre des Sacs
oder Sachers), trug bei seinem ersten Auftreten in Paris im
Jahre 1261 den Todeskeim bereits in sich. Auch sie sind zu
spät gekommen, und sie werden sich nach der Ansicht Rute-
beufs trotz Unterstützung vonseiten des Königs schwer auf¬
rechterhalten (Ru. 1, 193). Sie kommen mit den lautersten
Absichten. „Doch wer weiß, ob auch sie nicht bald die ab¬
schüssige Bahn des Wohllebens betreten und gute Weine und
mollige Betten verlangen werden“ (Ru. II, 200).
Von den Mönchen im Tal derSchiiler (Vaux des esco-
liers) weiß der Dichter zu berichten, daß die Universität wenig
Freundschaft bei ihnen gefunden hat (Ru. I, 198).
Die Mönche von St. Viktor finden jedoch Gnade in
Rutebeufs Augen. Sie sind die einzigen noch, die Mitleid und
Mildtätigkeit ausüben. Auch machen sie nicht wie die anderen
Mönche „ihren Bauch zum Herren“ (R. II, 197).
Der Orden der T r i n i t ä t hat es sich zur Aufgabe gemacht,
einen Teil seines Einkommens, nach Rutebeuf ein Drittel, als
Lösegeld für Gefangene zu verwenden. Deshalb schätzt ihn
der Dichter auch. Auffallend war in ihren Statuten die Be¬
stimmung, zu ihren Reisen keine Pferde zu benutzen. Sie folgten
auch dieser Verordnung, indem sie Esel dazu verwendeten
(Ru. I, 197).
Im Renart le Nouvel werden noch die Tempelherren
(li templier) erwähnt. Sie treten für die Kirche mit dem Kreuz
und mit dem Schwert ein. Sie brauchen viel Geld und viele
Soldaten, um sie gegen die Ungläubigen zu verteidigen
(N. 7821).
Die Hospitaliter (li ospitelier) rühmen sich im gleichen
Roman, den Sarrazenen größeren Kummer zuzufügen, als es
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31
die Templer tun. Liegt auch ihre Hauptaufgabe in der Pflege
Verwundeter, so greifen sie doch auch im Notfall zur Klinge
(N. 7874).
Daneben gab es in Paris noch einen Orden der Blinden
(Pordre des nonvoianz), denen Ludwig der Heilige gegen 1258
ein Hospital gegründet hatte, in dem sich gegen dreihundert
dieser Unglücklichen aufhielten. Schreiend und sich gegen¬
seitig stoßend tasten sie sich durch die Straßen von Paris
(Ru. I, 195; ib. 206).
Von den Frauenorden erwähnt Rutebeuf die „Töchter
Gottes“ (les Filles-Dieu) und die Beginen (les Beguines).
Den Filles-Dieu — zu Rutebeufs Zeiten in Paris gegen 140 an
der Zahl — war von Ludwig dem Heiligen ein Haus in der
Hauptstadt eingerichtet worden. Er unterstützte sie auch sonst
mit Geldmitteln (Ru. I, 205). Sie hießen daher auch die „Töchter
des Königs“, und der wörtliche Gebrauch dieses Namens gab
Anlaß zu mancher zweideutigen Bemerkung (Ru. I, 196). Die
Angehörigen des Ordens legten keine dauernden Gelübde ab;
Nach Verlauf einer bestimmten Zeit konnten sie in die Welt
zurückkehren. Rutebeuf richtet sich scharf gegen diese zur
Oberflächlichkeit führende Einrichtung.
Je di que ordre n’est-ce mie,
Ains est baras et tricheriev
Por la fole gent decevoir.
Hui i vint, demain se marie;
Li lignaiges sainte Marie
Est plus grant que ne fu ersoir.
(Ru. I, 196.)
Die Beginen legten ebenfalls kein Gelübde dauernder
Zugehörigkeit zu ihrem Orden ab (Ru. I, 223). Nach Rute¬
beufs Äußerungen scheinen sie die Mitte zwischen weltlichem
und mönchischem Leben gehalten zu haben; auch waren sie
keineswegs ein Orden von Jungfrauen.
L’ordre as Beguines est legiere;
Si vous dirai en quel maniere:
En s’en ist bien por mari prendre;
D’autre part qui baisse la chiere
Et a robe large et pleniere,
Si est Beguine sans li randre;
Si ne lor puet-on pas desfandre
Qu’eles n’aient de la char tandre ....
(Ru. I, 190.)
Trotzdem umgeben sie ihr Tun und Treiben gern mit dem
Nymbus der Frömmigkeit.
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32
Tot est de religion
Quanque hon trueve en sa vie.
La parole est prophecie;
S’ele rit, c’est compaignie;
S’el’ pleure, devocion;
S’ele dort, eie est ravie;
S’el songe, c’est vision;
S’ele ment, non creeiz mie.
(Ru. I, 221.)
„Es laufen viele von ihnen herum, die lange Kleider tragen;
doch was sie unter ihren Kleidern tun, das sage ich euch nicht.“
(Ru. I, 205.) Ihr sittlicher Lebenswandel scheint nicht ohne
dunkle Stellen gewesen zu sein. „Die Beginen und die Beg-
harden (die männlichen Angehörigen des Ordens) führen ein
sehr gutes Leben,“ sagt der Dichter, „doch ist es nicht gut,
den Hahn mit der Henne zusammenzubringen, in die Nähe des
Schlemmers guten Wein zu setzen oder vor die Katze Speck
hinzulegen.“ (Ru. II, 42). Und dann:
je voi si Tun vers l’autre tendre
Qu’en I chaperon a II testes,
Et il ne sont angels ne bestes.
(Ru. I, 231.)
Von den Nonnen im allgemeinen weiß uns der Dichter zu
sagen, daß sie häufig zu den Heiligen pilgern. Doch zweifelt
er, daß Gott ihnen dafür Dank weiß. „Wenn sie klüger wären,
würden sie weniger oft hingehen“ (Ru. II, 42). Zuweilen
verließen sie zu zweit das Kloster, um zu viert zurückzukehren
(Ru. II, 42).
Wenn die Dichter der damaligen Zeit den niederen Geist¬
lichen und den Ordensangehörigen so viele Vorwürfe zu machen
haben, so läßt sich auch kein gutes Urteil über deren Vor¬
gesetzten, über die höheren geistlichen Würdenträger, erwarten.
Kommen sie zu einem armen Landgeistlichen, so treten sie
sehr (anspruchsvoll im Essen auf, und es hält schwer, ihnen
nach ihrem Geschmack aufzutischen (Ru. II, 230). In Rute-
beufs „Dit d’Ypocrisie“ werden wir nach Rom geführt, zur
Zeit der Wahl Gregors X. (1271). Große Uneinigkeit herrscht
dort unter den Kardinälen und sie können über keine Wahl
schlüssig werden. Um sich endlich zu einigen, wird eine ge¬
heime Abstimmung vorgenommen, aus der Thibaut, Erzdiakon
von Lüttich, als Papst Gregor X. hervorgeht. Dies ist die Her¬
kunft der bei der Papstwahl noch üblichen Konklave.
In Rom selbst herrschen alle Laster; Bestechlichkeit, Hab¬
sucht, Geiz haben hier ihre Heimstätte (Ru. II, 32).
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De Rome vient li max qui les vertus asome.
(Ru. II, 32.)
Die Geistlichen dort lieben das Geld und sind nur freundlich
mit dem, der reichlich gibt (Ru. II, 32). „So mancher reiche
Mann ist nach Rom gegangen, der es als armer Bettler ver¬
ließ (Ru. I, 224), und mancher ist als guter Christ dort hin¬
gekommen, um als falscher Pharisäer zurückzukehren“
(Ru. II, 225).
Kein Wunder, daß bei dem moralischen Tiefstand, der in
allen Kreisen der Geistlichkeit herrschte, aufgeklärtere Leute
wie Jean de Meung prinzipielle Gegner des Mönchtums waren
(Rose 11 788). Er verurteilt die Gelübde der Mönche und
findet es nicht recht, ernster Arbeit Gebete vorzuschieoen
(Rose 12 256). Er wendet sich gegen die von den Geistlichen
verbreitete Ansicht, daß der wahre Christ nur in geistlicher
Tracht zu denken sei. „Es ist töricht, zu glauben, daß die¬
jenigen ihrer Seele schaden, die sich an weltliche Kleider
hängen“ (Rose 11859); denn
bien puet en robes de colors
Sainte religion florir.
Das Volk aber sah dem Treiben der Geistlichen zu, ohne
sich dadurch in seinem Glauben erschüttern zu lassen. Er war
zu fest begründet, und es hatte auch noch niemand gewagt,
daran zu rütteln. Und auch die späteren Spaltungen innerhalb
der Religion beruhen immer auf theologischen Fragen, aber
niemals auf einer Empörung gegen die Moralität der Diener
Gottes (vergl. Cledat, pag. 108).
III. Von den Kreuzzügen.
Jenes stark religiöse Leben, das am Anfang des XIII. Jahr¬
hunderts die Christenheit des Abendlandes ergriffen hatte, hatte
die neuen Orden der Franziskaner und Dominikaner hervor¬
gebracht und mehrere Kreuzzüge entstehen lassen. In der
Besitzergreifung des heiligen Landes durch die Heiden sah
man eine Beleidigung Gottes und hielt es für höchste Pflicht
eines frommen Gläubigen, diese Schmach zu rächen und das
Verlorene zurückzugewinnen (Ru. I, 80). Das heilige Grab
besuchen zu können, galt für jeden Christen als höchstes Glück,
als das erstrebenswerteste Ziel in diesen Erdentagen. „Und
wenn der Mensch hundert Jahre alt würde,“ sagt der Dichter
(Ru. I, 150), „so könnte er durch gute Werke nicht so viel
Ehre erringen, als wenn er einmal das heilige Grab aufsucht.“
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Die Beschwerden und Anstrengungen, die eine solche Fahrt
mit sich bringt, soll der Gläubige geduldig ertragen: Gott
liebt den Menschen, der um seinetwillen Leiden erduldet (Ru. I,
163; vergl.: Vom Glauben und Aberglauben, pag. 13). Und
der Lohn, der jedem Kreuzzugsteilnehmer winkt, ist wahrlich
nicht gering: Reinigung von allen Sünden und das Paradies
wird ihm verheißen (Ru. I, 163). Dieser immer wieder ver¬
breitete Glaube, daß man sich durch die Teilnahme an einem
Zug ins heilige Land von allen Sünden reinigen könne, führte
zu ähnlichen Folgen wie der Mißbrauch der Ablaßkrämerei
zur Zeit Luthers. Nach dem Zeugnis des Abts Usberg gab es
Leute, die schwere Verbrechen begingen mit der Absicht, später
sich das Kreuz anzuheften und sich dadurch das Himmelreich
zu verdienen (Fleury, Hist. eccl. t. XVI, p. 589).
In der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts änderte sich
die Lage wesentlich. Die neuen Mönchsorden, so gut sie sich
auch eingeführt hatten, verflachten in ihrem religiösen Treiben
und fanden wegen ihres weltlichen Lebens heftige Gegner
(vergl. Kap. II, pag. 26). Auch der Eifer für die Kreuzzüge
hatte wesentlich nachgelassen. Es war nicht mehr die alte,
keine Überlegung duldende Begeisterung, die mit dem Rufe
Gott will es! die Gläubigen mit fortriß, sondern kalte Vernunft
und ein Abwiegen der Vorteile und Nachteile war an ihre Stelle
getreten. Da erhob sich als neuer Anwalt für die Kreuz¬
züge der Trouvere Rutebeuf. Er selbst tief religiös und von
den Wert jener Unternehmungen voll überzeugt, richtete eine
„Complainte“ nach der anderen an seine Zeitgenossen, um
sie mit kraftvollen Worten für die Teilnahme zu gewinnen.
An alle Stände sind seine Mahnungen und dringenden Auf¬
forderungen gerichtet. Das Interesse König Ludwigs IX. dünkt
ihm zu lau. Als Acre in Gefahr stand, von den Türken
zurückerobert zu werden, da forderte er ihn auf, sich selbst
auf den Weg zu machen oder wenigstens ein Heer auszu¬
rüsten, ohne dabei mit Geld noch Gold zu sparen, um für
das Recht Gottes zu streiten (Ru. I, 71). „Recht und Glaube
sind durch die Zustände im heiligen Land ins Schwanken
geraten/ 4
i • Ha! rois de France, rois de France,
La loi, la foi et la creance
Va presque toute chancelant!
Que vous iroie plus celant?
Secorez-la, c’or c'est mestiers;
Et vous et li quens de Poitiers
Et li autre baron ensamble.
(Ru. I, 109.)
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Auch den König von England und den von Sizilien sucht Rute-
beuf für neue Unternehmungen gegen die Ungläubigen zu
gewinnen (Ru. I, 133). Mit bitteren Worten wendet er sich
an die Ritter, die die berufensten Christen sind, um den Heiden
die geweihten Stätten zu entreißen. Sie haben es zugelassen,
daß das heilige Land in deren Hände fiel; „wohlan, tut eure
Pflicht, entreißt ihnen das verloren Gegangene. Nehmt das
Kreuz, Gott wartet auf euch, er wird euch den Weg zeigen!“
(Ru. I, 108.) Er appelliert an ihre ritterlichen Tugenden und
christlichen Pflichten und erinnert sie immer wieder daran, die
Zeit zu benutzen, um für ihr Seelenheil Gutes zu tun, da
niemand wisse, wie lange er noch zu leben habe (Ru. I, 132).
Conquerons paradix quant le poons conquerre
N’atandons mie tant meslee soit la serre.
(Ru. I, 170.)
Von den Mönchen erhofft Rutebeuf vor allem materielle
Unterstützung zu erlangen.
Se li denier que Ten a mis
En cels qu’ä Dieu se font amis
Fussent mis en la Terre Sainte,
Eie en eust mains d’aneinis
Et mains tost s’en fust entremis
Cil qui l’a ja brisie et frainte.
(Ru. I, 120.)
Da sie nicht selbst als Kämpfer ins heilige Land ziehen können,
so fordert er sie auf, die Kinder der Armen aus ihrem Kloster¬
schatz zu unterhalten, damit deren Väter unbesorgt in den
Kampf ziehen können.
Montreiz par bouche et par example
Que vos ameiz Dieu et le Temple.
(Ru. I, 138.)
Auch an die reichen Bürger, die im behäbigen Wohlstand
dahin leben, wenden sich seine Lieder. Sie können die religiösen
Unternehmungen durch Gaben tatkräftig unterstützen und sich
dadurch bei Gott angenehm machen (Ru. 1, 141).
Alle seine eindringlichen Ermahnungen und Aufforderungen
scheinen jedoch wenig von Erfolg gewesen zu sein.
Li feus de charite est froiz
En chascun euer de crestien:
Ne jone homme ne ancien
N’ont por Dieu eure de combattre.
(Ru. I, 114.)
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36
Doch bald stellt sich von neuem sein Eifer ein. Eine
neue Art, Stimmung für einen Kreuzzug zu machen, wendet er
an. Er zieht von Burg zu Burg, von Jahrmarkt zu Jahrmarkt
und trägt seine „Desputizon dou Croisie et dou Descroizie“
vor. Zwei Ritter unterhalten sich darin über den Wert der
Kreuzzüge und tauschen in Rede und Gegenrede ihre An¬
sichten darüber aus. Während der „Croise“, der Verteidiger
der Kreuzzüge, im allgemeinen die üblichen Argumente für
ihre Berechtigung anführt, bringt der „Decroise“, der Gegner
jener Veranstaltungen, Ansichten vor, die sicherlich viele seiner
Zeitgenossen mit ihm teilten. So führt er an, daß die Kreuzzüge
viele Ritter in Armut gebracht hätten. Vor dem Aufbruch nach
dem heiligen Land war mancher gezwungen, einen Teil seiner
Besitzungen billig zu veräußern, sodaß er dadurch den Ruin
seines Geschlechtes herbeiführte (Ru. I, 150). Recht wenig
edle Motive hatten auch viele zu Kreuzfahrern gemacht. Der
eine hoffte, sich im Orient zu bereichern, dem anderen war
eine Fahrt zum heiligen Grabe der einzige Weg, um sich von
schwerer Sündenlast zu befreien, und andere wieder gingen
aus reiner Abenteuerlust nach Jerusalem, gaben sich dort dem
Laster hin und kehrten als schwere Geisel des Landes zurück,
das ohnedies schon durch die „taille“ und den Zehnten für den
Kreuzzug schwer belastet war (Ru. I, 156). Auch die Geist¬
lichkeit schien es an Interesse und an tätiger Unterstützung
fehlen zu lassen.
Clerc et prelat doivent vengier
La honte Dieu, qu’il ont ces rentes.
11s ont ä boivre et ä mengier:
Si ne lor chaut c’il pluet on vente.
(Ru. I, 154).
Zu diesen Bedenken kamen noch andere Gründe hinzu, die
Rutebeuf dem Gegner der Kreuzzüge in den Mund legt. „Soll
ich, um ein fremdes Land zu erobern, woran ich doch keinen
Teil haben werde, Weib und Kind, Gut und Erbe verlassen?
Warum soll ich Gott gerade in jenem unwirtlichen Lande auf¬
suchen? Man kann ihn gerade so gut in der Heimat verehren.
Die Cleriker, die sich in den Dienst des Herrn gestellt haben
und ihre Renten um seinetwillen beziehen, mögen ein Interesse
daran haben, daß ein Kreuzzug unternommen wird. Ich aber
lebe mit meinen Nachbarn in Frieden und es gelüstet mich
nicht, mich aus diesem ruhigen Leben zu reißen, um mich jen¬
seits des Meeres mit dem Sultan in einen Kampf einzulassen.
Sagt ihm, daß, wenn er zu uns kommt, um uns anzugreifen, er
in mir einen heftigen Gegner finden wird, aber aus seinem
Lande werde ich ihn nicht vertreiben.“
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37
Wenn es mit der öffentlichen Meinung so stand — und
es ist nicht zu zweifeln, daß der Decroise sie vertritt — so
nimmt es nicht Wunder, daß des Dichters Bemühungen von
wenig Erfolg gekrönt waren. Die Zeit war nicht mehr emp¬
fänglich für diese religiösen Bestrebungen. Andere Anschau¬
ungen traten an ihre Stelle und mit ihnen war das Ende der
Kreuzzüge gekommen. Selbst in der Umgebung des Königs
hatte man das Interesse verloren. Als Ludwig IX. im Jahre
1270 sich zum Kreuzzug nach Tunis rüstete, da standen die
nächsten Verwandten des Königs auf, um gegen das Unter¬
nehmen ihre Stimme zu erheben (Joinville, Hist, de saint Louis,
Ed. de Wailly XXIV. p. 107). Selbst sein treuer Joinville, der
mit ihm alle Entbehrungen des ersten Kreuzzuges geteilt hatte,
konnte sich nicht entschließen, seinen Herrn im zweiten Kreuz¬
zug zu begleiten, da auch er ihn für nutzlos und für Frankreich
nur verderblich hielt (Joinville, Hist, de saint Louis, CXLIV).
IV. Vom Studenten und vom Pariser
Universitätsstreit.
Jedesmal, wenn Rutebeuf seine Angriffe gegen den Klerus
im allgemeinen richtet, hebt er ausdrücklich hervor, daß er
die Studenten ausgenommen wissen will (Ru. II, 25). Er liebt
ihr unstetes Wanderleben und er fühlt mit ihnen, wenn sie in
fremde Länder ziehen, „um Lohn und Ehre zu gewinnen und
Körper und Geist zu veredeln“ (Ru. II, 28). Mit leichtem Ge¬
päck sind sie ausgerüstet, „und was man ihnen schenkt, ist
oft sehr wenig.“ Die Streitigkeiten unter den Pariser Stu¬
denten in den sechziger Jahren des XIII. Jahrhunderts veran-
laßten Rutebeuf, seine ernste Stimme gegen das Treiben ge¬
wisser randalierender Studenten zu erheben. „Warum seine
Heimat verlassen und in ein fremdes Land gehen, wenn man
Torheiten treiben will, wo etwas Tüchtiges zu lernen ist?“
Er erzählt mit großer Anteilnahme von einem Studenten, dessen
wenig begüterter Vater alles daran gewendet hat, um seinen
Sohn aut die hohe Schule schicken zu können (Ru. 1, 185).
Kaum ist der junge Mann in Paris angekommen, so verschafft
er sich „von dem Gewinn der Pflugschar und des Pflügers“
allerlei Waffen. „Anstatt ein ehrenhaftes Leben zu führen,
bummelt er in den Straßen herum, um alles zu betrachten, alles
zu begaffen. Bald geht ihm das Geld aus, die Kleider sind
aufgetragen. In der Fastenzeit, in der der fromme Christ ein
gottgefälliges Leben führen soll, haben Studenten dieser Art
an Stelle des Büßerhemdes einen Halsberg an und zechen
solange, bis sie betrunken sind. Dann fangen sie Händel an,
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38
größere Streitigkeiten entwickeln sich daraus, und die Universi¬
tät muß ihre Vorlesungen einstellen. Das Lernen fällt ihnen
schwer. Sie sind von ungeschliffenem Wesen und können
kaum anständig am Tische sitzen. Mit Nichtstun verlieren sie
ihre Zeit und ihr Geld und bereiten ihren Freunden nur
Schande. Und doch gibt es kein schöneres Leben als das
eines Studenten!“
Diex! ja n’est-il si bone vie,
Qui de bien faire ,auroit envie,
Com eie est de droit escolier!
(Ru. I, 186.)
Größeres Interesse als dem Treiben der Studenten bringen
jedoch Rutebeuf und Jehan de Meung dem Kampf entgegen,
der sich zwischen den weltlichen Geistlichen als den eigent¬
lichen Lehrern der Universität und den Dominikanern um die
Pariser Hochschule entwickelt hatte. Als in den dreißiger
Jahren des XIII. Jahrhunderts die Professoren der Pariser
Universität wegen Streitigkeiten zwischen Stadtsoldaten und
Studenten, in denen einige der letzteren getötet wurden und die
verlangte Sühne ausblieb, ihre Vorlesungen einstellten und aus
Paris auswanderten, hatten die Dominikaner vom Bischof von
Paris einen theologischen Lehrstuhl erhalten. Bald errichteten
sie einen zweiten und begannen auch öffentliche Vorlesungen
zu halten. Als sich die Dominikaner bei Gelegenheit einer
neuen Einstellung der Vorlesungen weigerten, den Beschlüssen
der Universität Folge zu leisten, kam es zu offenem Streit
zwischen der weltlichen Geistlichkeit (ceux „qui lisent de logi-
que“) und den Dominikanern. Die Universität suchte die
Jakobiner (= Dominikaner) aus ihrem Lehrkörper zu verdrängen.
Diese aber wandten sich an den König und an den Papst und
klagten die weltliche Lehrerschaft der Universität an, gegen
Gott und die Kirche, sowie gegen die Ehre des Königs und
seiner Interessen sich verschworen zu haben. In diese Zeit
des Streites fällt das Gedicht Rutebeufs „Descorde de l’Uni-
versitei de Paris:“
Rimer m’estuet d’une descorde
Qu’ ä Paris a seme Envie
Entre gent qui misericorde
Sermonent et honeste vie.
De foi, de pais et de concorde
Est lor langue mult replenie,
Mes lor maniere me recorde
Que dire et fere n’i soit mie.
Sor Jacobins est la parole.
Or guerroient por une escole
Oü il vuelent ä force lire.
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89
„Man sollte erwarten, daß die Dominikaner sich der Universi¬
tät gegenüber dankbar erzeigen würden. Denn als der Orden
nach Paris kam, nahm die Universität ihn bereitwilligst in
ihrem Schoß auf, unterstützte ihn mit Büchern, Geld und Nah¬
rungsmitteln und räumte ihm ein Haus in der Straße St. Jacque
ein“ (Ru. I, 180). Bald mußte sie jedoch den Undank des Or¬
dens am eigenen Leib verspüren. Die Universität wurde von
ihm, wie Rutebeuf sagt, „mise du trot au pas.“ (Ru. 1, 181).
Die allgemeine Sympathie in diesem Streit war auf der Seite
der Universität. Jean de Meung und Rutebeuf nahmen mit
beredten Worten für sie Partei. Unter den Universitätslehrern
selbst aber erstand in Guillaume de Saint-Amour den Domini¬
kanern ein eifriger Gegner.
Die Dominikaner waren bei ihrem wachsenden Einfluß
dazu gekommen, sich als Erneuerer des christlichen Glaubens
zu betrachten, und aus diesem Gefühl heraus veröffentlichten
sie dne Schrift, Liber introductorius in Evangelium aeternum
(P Evangile eternel, Rose 12 757); (P Evangile pardurable,
Rose 12740). Sie gaben das Buch für ein vom Heiligen Geist
inspiriertes Werk aus, das dazu dienen sollte, „die Menschen
auf einen guten Weg zu führen“ und das die Dominikaner selbst
höher als die vier Evangelien stellten.
Die Mönche sagen, qu’il n’est loi tenable
For PEvangile pardurable,
Que li Sains-Esperiz envoie
Por metre gens en bone voie.
(Rose 12805).
Sor m’ame, le vous di sans guile,
Tant sormonte ceste Evangile
Ceus que li quatre evangelistres
Jhesu-Christ firent ä lor tistres.
(Rose 12757).
Bei den weltlichen Clerikern fand dieses Buch heftigen Wider¬
spruch (Rose 12725). Jean de Meung spricht sein Verdam¬
mungsurteil darüber aus und möchte es am liebsten verbrannt
wissen.
C’est PEvangile pardurables ....
Bien est digne d'estre brusle. (Rose 12740).
Guillaume de Saint-Amour verfaßte eine Gegenschrift „De peri-
culis novissimorum temporum“. Das Volk, seine Universitäts¬
kollegen und wohl alle liberalen Männer standen auf seiner
Seite.
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40
Cil de Saint-Amor..
Qui disputer soloit et lire,
Et preechier ceste matire
A Paris, avec les devins:
Ja ne m’ aist ne pains ne vins,
S’il n’avoit en sa verite
L’acort de V Universite
Et du peuple communement,
Qui voient son preschement. (Rose 12 413.)
Der Kampf dauerte sieben Jahre.
Bien avez oi la descorde
(Ne covient pas que la recorde)
Qui a dure tant longuement
(VII ans tos plains entirement)
Entre la gent Saint-Dominique
Et cels qui lisent de logique.
(Ru. I, 87.)
Im Verlauf desselben sprach der Papst Innozenz IV. über
beide Bücher den Bann aus. Im Jahre 1236 suchte ein Con-
zilium von Prälaten in Paris dem Streite ein Ende zu machen.
Guillaume war bereit, sich diesem Schiedsgericht zu unter¬
werfen.
Li prelat sorent cele guerre:
Si commencierent ä requerre
L’universitc et les freres.
Qu’il Ior lessaient la pais fere.
11 s’aeorderent ä la pes,
sanz commencier guerre james:
Ce fu fiancie ä tenir
Et seele por Souvenir. (Ru. I, 89.)
Der König, den üuillaume de Saint-Amour aufsuchte, ver¬
sprach ihm, die Mönche zur Anerkennung des Schiedsgerichtes
zu veranlassen und schwor ihnen ewige Feindschaft, wenn
sie den Vertrag brechen würden (Ru. I, 90). Aber der Papst
erkannte den Spruch des Schiedsgerichtes nicht an, und ohne
daß über Guillaume ein Urteil gesprochen worden war, ver¬
bannte er ihn aus dem französischen Königreich (Ru. I; 91).
Mit aller ihnen zu Gebote stehenden Beredsamkeit pro¬
testierten Rutebeuf und Jean de Meung gegen diese Ver¬
bannung. Rutebeuf appellierte an die Prälaten, Fürsten, Könige,
ja an Gott selbst und macht sie auf den schweren Eingriff in
die königliche Machtsphäre aufmerksam, den der Papst mit
dieser Verbannung begangen hat. Er scheut sich selbst nicht,
den Papst und den König mit der Gerechtigkeit Gottes zu
drohen.
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41
Qui escille homme sanz reson,
Je di que Dieu qui vit et regne
Le doit escillier de son regne.
Qui droit refuse, guerre quiert.
(Ru. I, 85.)
Rutebeuf erhebt diesen Fall zu einer den ganzen Staat
angehenden Machtfrage und sucht das rechtswidrige Handeln
des Papstes sowie das des Königs nachzuweisen. „Am wenig¬
sten hat der Papst das Recht dazu, den Bürger eines fremden
Staates zu verbannen (Ru. I, 86). Wenn der König auf die
Bitte des Papstes hin die Verbannung ausgesprochen hat, so
handelte er eigenmächtig, denn weder im bürgerlichen noch
im kanonischen Recht gibt es eine derartige Bestimmung (Ru. I,
86). Und wenn der König sagt, daß e r ihn verbannt habe, so
hat er ein großes Unrecht begangen, denn niemand darf gegen
sein Recht und ohne Verurteilung verbannt werden (Ru. I, 87).
Das Blut Abels schreit zum Himmel.“
Guillaume zog sich in seine Vaterstadt Saint Amour in
der Franche-Comte zurück, die damals nicht zum Königreich
gehörte. Doch bald kam ein neuer Schlag für die Universität.
Eine Bulle Alexanders IV. befahl, die Schrift Guillaumes „De
periculis“ zu verbrennen und gleichzeitig auch „quelques autres
libelles fameux“, wie es in der Bulle nach Jubinal III, 79
heißt, „en infamie et detraction des freres Predicateurs et
Mineurs (lesquels ont etc mis recemment par leurs adversaires
en langue vulgaire), ainsi que des rhythmes et des chansons
indecentes.“ Vielleicht wurden von diesem Bannstrahl auch
die Gedichte Rutebeufs getroffen; denn er klagt im „Dit
d’Ypocrisie“, daß die Leute seine Verse nur heimlich oder im
Zimmer lesen könnten (v. 53).
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß Guillaume
nach dem Tode Alexanders IV. aus der Verbannung zurück¬
kehrte und man ihm in Paris einen glänzenden Empfang be¬
reitete. Von seiner Schrift blieben einige Exemplare vor der
Vernichtung bewahrt, so daß das Buch im XVI. und XVII. Jahr¬
hundert noch gedruckt werden konnte, aber bezeichnender¬
weise wie bei seinem ersten Erscheinen heftig verfolgt und
durch ein königliches Edikt eingezogen wurde. —
V. Vom Rittertum.
Im Renart le Nouvel sucht uns der Dichter mit dem Treiben
der ritterlichen Gesellschaft am Hofe König Renarts bekannt
zu machen. Von frohen, tagelangen Festen wird uns dort
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erzählt, Knappen erhalten vor unseren Augen den Ritterschlag,
und tapfere Ritter treten kühnen Mutes — denn vom Balkon
aus schaut ihnen die Dame ihres Herzens zu — in die Schranken
des Tournierplatzes. Dann sind wir wieder mit dem Heer
auf dem Marsche, um einer Belagerung beizuwohnen. Mit
behaglicher Breite schildert uns der Dichter die Vorbereitungen
dazu, die Belagerungsmaschinen, die Not der Belagerten und
wie sie sich zu verteidigen suchen, und läßt uns schließlich
am Triumphe des Siegers teilnehmen. Doch wäre es ein ver¬
gebliches Unterfangen, diese Züge zu einem Bilde vereinigen
zu wollen, nachdem wir in Leon Gautiers „La Chevalerie“
bereits ein ausführliches und nach reichem Quellenmaterial be¬
arbeitetes Werk über das Rittertum besitzen. Gautier hat aus
Quellen geschöpft, die bis König Philipp August (1180—1223)
reichen. Es sei uns daher vergönnt, unsere Dichter über das
Rittertum der folgenden Zeit reden zu lassen und ihre der
zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts angehörenden An¬
sichten darüber anzuführen.
Das Rittertum hatte auf seinem Höhepunkt gestanden. Zu
unserer Zeit befindet es sich bereits auf der Bahn des Ver¬
falls. „Wo sind alle jene Ritter, die die Tugenden eines Roland,
eines Olivier oder eines Alexander besaßen?“
L’uns est bleciez, l’autre quassez,
Li autres par sa lecherie
Est entrez en l’enfermerie
Por le cors esbatre et deduire;
Li autre doutent la froidure;
A l’autre trop forment renuit
Ce que il veilla l’autre nuit;
Si doute du cors enmaigrir
itels genz si font cnaigrir
Le chant de Dieu et les changons;
II aiment miex les eschan^ons
Et les kex et les bouteilliers
Que les chanters ne les veilliers.
(Ru. 11, 199.)
Die Gelübde, die der Ritter beim Ritterschlag abgab, hatten
für viele ihre Kraft verloren und wurden geringer gewertet,
wenn nicht selbst unbeachtet gelassen. „II n’i a mes nul Ali-
xandre“ (Ru. II, 22) klagt der Dichter, — in Alexander sah
man im Mittelalter die ritterliche Freigebigkeit verkörpert —
die Spielleute finden schlechte Belohnung für ihre Künste, „und
es scheint, als ob die Ritter das Geben überhaupt verlernt
hätten“. Anstatt dem Bedürftigen zu helfen und ihn zu seinem
Recht kommen zu lassen, verwalten die Ritter ihr Richteramt
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in Ansehen der Person und des Besitzes: Qui plus vos done
si at droit (Ru. II, 140). Um die Kosten für ihre verschwen¬
derische Lebenshaltung aufzubringen, drücken sie die Unter¬
tanen mit schweren Lasten (Ru. I, 241). Die Knappen aber
nehmen ihren Töchtern die Ehre und tragen so die Schuld,
daß, wenn diese keinen Mann finden, sie bald zur großen Masse
zählen (Ru. I, 136).
Einen leichten Angriffspunkt für Rutebeuf mußte auch zu
jener Zeit, wo sich ein Bürgerstand herauszuheben begann
und man den Segen emsigen Schaffens schätzen lernte, das jede
ernstere Betätigung verachtende Treiben der Ritter bieten. In
der friedensreichen Zeit Ludwigs des Heiligen hatten sie wenig
Gelegenheit gehabt, ihren Mut zu erproben. Dem Gelübde,
der Kirche zu helfen und gegen die Heiden zu kämpfen, war
nur ein geringer Teil der Ritterschaft in den verschiedenen
Kreuzzügen nachgekommen. So war ein dem Waffenhandwerk
wenig geneigter Geist bei ihnen eingezogen, wozu die weit
verbreiteten Ansichten über die Zwecklosigkeit von Unter¬
nehmungen gegen die Ungläubigen das Ihrige beigetragen
haben mögen (vergl. Kap. III). „Wohl träumt man am Kamin,“
wie Rutebeuf spottet (Ru. I, 140), „den Kopf vom Weine schwer,
von großen Heldentaten, will sich auch gleich am nächsten Tag
zur Kreuzfahrt aufmachen und dem Sultan und seinen heid¬
nischen Leuten große Hiebe austeilen. Doch am nächsten
Morgen, von gesundem Schlaf erwacht, ändern sie ihr Latein.
Sie freuen sich, daß sie noch heil sind und da das Kämpfen
kein Spiel ist, gehen sie lieber auf die Jagd, der eine, um eine
oder zwei Enten zu erlegen, der andere, um ein armes Häslein
hitzig zu erjagen.“
Von jenen Rittern aber, die an einem Kreuzzug sich be¬
teiligten, war so mancher, ( der nicht im Interesse der Kirche
und aus reinster innerster Überzeugung heraus, sondern ledig¬
lich in der Hoffnung, sich durch Beute im Orient zu bereichern,
den Kreuzesfahnen folgte. Daß dieser Umstand zur Teilnahme
an einem Kreuzzug für viele Ritter ausschlaggebend war, be¬
zeugen uns Rutebeufs Worte:
(Le comte de Nevers]
Ne fist inie de sa croix pile,
Si com font souvent teil X mile
Qui la prennent par grant saintrize
(Ru. I, 67),
d. h. „qu’il n’a pas pris la croix par amour du pillage, qu’il
n’est pas alle ä la croisade par amour du gain“ (Jubinal I,
68), wonach der Dichter die von der allgemeinen Regel ab¬
weichende Triebfeder zur Teilnahme hervorheben zu müssen
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glaubt. Machte man doch selbst einem Thibaut, König von
Navarra, den Vorwurf, den Kreuzzug von 1238 nur um der
Beute willen unternommen zu haben (Ru. III, 178).
Ein hartes Urteil fällt Rutebeuf über die Ritter seinerzeit.
Diex lor otroit ce qu’il porchacent!
S’auront la corde,
Lor ouvraigne bien s’acorde,
Quar il sont sanz misericorde
Et sanz pitie,
Sanz charite, sanz amistie. (Ru. I, 241.)
Doch gibt es noch Ritter, die „largece, honor, chevalerie“
(Rose 19 637) pflegen, die aus reiner Begeisterung in den Kampf
ziehen, die Ihren in der Schlacht durch ihre eigene Tapferkeit
anzufeuern wissen, zu Hause aber „larges et cortois et net et
monde“ (Ru. 1, 47) sind. Für die Armen haben sie eine
helfende Hand, ihren Untertanen sind sie gerechte und milde
Richter (Ru. I, 61) und der Kirche und ihren Dienern stets frei¬
gebige Freunde (Ru. 1, 58). —
VI. Von den Spielleuten.
Ribaut, or estes vos ä point:
Li aubre despoillent lor branches
Et vos n’aveiz de robe point;
Si en aureiz froit ä vos hanches.
Queil vos fussent or li porpoint
Et li seurquot forrei ä manches.
Vos aleiz en estai si joint.
Et en yver aleiz si cranche,
Vostre soleir n’ont mestier d’oint,
Vos faites de vos talons planghes.
Les noires mouches vos ont point,
Or vos repoinderont les blanches.
(Ru. II, 6.)
Diese Zeilen Rutebeufs führen uns mitten hinein in das
leichte Volk der Spielleute. Sie werden gewöhnlich Menestrels
oder Jongleurs genannt, Bezeichnungen, die nach E. Frey-
inond „Jongleurs und Menestrels“ zu unserer Zeit nebeneinander
gebraucht werden, ohne damit einen Unterschied in Tätigkeit
oder Rang andeuten zu wollen. Mehr persönlichen Inhalt haben
und auf das Wesen gewisser Spielleute gehen ein Bezeichnungen
wie Lecheors und Rrbauz, d. h. Schmarotzer und herum¬
lungernde Spitzbuben. In unseren Texten nennen sich die Spiel-
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leute selbst am häufigsten menestrels, menestreils (Ru. II, 100),
seltener jongleurs, jouglierres (Rose 10 134). Wie es der Name
Jongleurs (= joculatores) andeutet, bestand die Tätigkeit der
Spielleute darin, die Leute auf die verschiedenste Art zu unter¬
halten und zu belustigen.
Mit dem Erwachen des Frühlings, wenn die Kälte weg ist,
beginnen sie mit ihrem eigentlichen Wanderleben (Ru. I, 34).
Unstät ziehen sie auf den Straßen einher, oft barfuß und wenig
bekleidet (Ru. I, 30, ib. 36). Andere wieder, wie Rutebeuf
selbst, besitzen ein Pferd. Auf Jahrmärkten vor allem konnten
sie einer großen Zuhörerschar sicher sein. Es ist anzunehmen,
daß Rutebeufs „Dit de Pherberie“ bei solchen Gelegenheiten
vorgetragen wurde und dankbare Hörer gefunden hat. Um
sich die Zuhörerschaft geneigt zu machen, redet der Jongleur
sie mit „seigneurs“ an und bittet sie, recht ruhig zu sein (Ru. II,
51). Um die Spannung noch zu erhöhen, fordert er sie auf,
die Hüte abzunehmen, und nach mehreren Ermahnungen zur
Aufmerksamkeit beginnt er endlich seine Erzählung (Ru. 11,
60). Eine andere Gelegenheit, ihre Kunst auszuüben, finden
die Menestrels bei den Festen und Familienfeierlichkeiten.
Wenn ihnen zu Ohren gekommen ist, daß in einer Familie
Hochzeit oder sonst eine Festlichkeit gefeiert wird, zu der
sich bessere Leute versammeln, dann eilen sie aus der Um¬
gegend herbei, die einen zu Fuß, die anderen zu Roß, um die
Gäste zu unterhalten und zu belustigen.
Partout est bien choze commune,
Ce seit chascuns, ce seit chascune,
Quant I hom fait noces ou feste
Oü il a gens de bone geste,
Li menestreil, quant il l’entendent,
Qui autre chose ne demandent,
Vont lä, soit amont, soit aval,
L’un ä pie, l’autres ä cheval.
(Ru. II, 100).
Sobald die Gäste sich zerstreut haben, wenden die Jongleurs
sich an den jungen Ehemann und bitten ihn um Lohn:
„Doneiz-nos maitres ou deniers“,
Font-il, „qu’il est drois et raisons,
S’ira chascuns en sa maison.“
(Ru. II, 101.)
Sie bitten also um sofortige Belohnung oder um einen „maitre“,
d. h. um den Namen einer Person, wohl aus der Zahl der Gäste,
an die sie sich zu wenden haben, um dort ihren Lohn zu holen.
Nicht immer waren die Jongleurs noch die maitres mit dieser
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Überweisung zufrieden. Rutebeuf erzählt uns in seinem Dit
„De Charlot le Juif“, wie sein Rivale Charlot zu dem panetier
Guillaume kommt, um seinen Lohn in Empfang zu nehmen.
Guillaume jedoch, der gerade bei der Jagd ein Pferd verloren
hat und dadurch bei schlechter Laune ist, gibt dem Jongleur
einen wertlosen Hasenpelz zum Geschenk. Doch nicht unge¬
straft. Denn versucht jemand einen Menestrel zu betrügen,
so ist stets der Betrüger der Betrogene (Ru. II, 98). Auch
Charlot rächt sich sofort, indem er den Balg mit Kot füllt und
den Guillaume durch eine List veranlaßt, hineinzugreifen.
Ein sorgloseres Leben konnte derjenige Jongleur führen,
dem es gelungen war, eine Stelle als Narr zu erlangen. Spottet
auch Rutebeuf darüber, daß Charlot sich an die Kinder des
Königs heran mache, um dort die Narrenstelle einzunehmen,
so ist dieses Streben eines Menestrels bei den damaligen Ver¬
hältnissen doch leicht begreiflich (Ru. II, 12).
Zuweilen führten die Menestrels Decknamen. Ob Rute¬
beuf ein Deckname ist, ist nicht erwiesen, doch sehr wahr¬
scheinlich. Der Zusatz „le Juif“ zu Charlots Namen ist sicher¬
lich als Spitzname anzusehen, den ihm Collegen aus irgend
einem Grunde beigelegt haben mögen; denn es ist kaum an¬
zunehmen, daß Charlot wirklich ein Jude war.
Das Leben, das die Menestrels führten, war ein höchst
lockeres. Hat er etwas verdient und winkt ihm ein Wirts¬
haus, so widerstrebt er nicht lange, es zu betreten (Ru. I, 34).
Ein Glas Wein wird eingegossen. Bald kommen gleichgesinnte
Gesellen hinzu, und in kurzer Zeit sind auch die Würfel her¬
beigeholt (Rose 5776). Man setzt seine wenigen Groschen
ein, vergißt, daß man sich davon unbedingt seine im argen
liegende Garderobe ergänzen wollte (Ru. I, 34) und wenn die
Gesellschaft auseinandergeht, hat mancher Spielmann nicht nur
sein Geld verloren, sondern selbst die wenigen Kleidungs¬
stücke zum Pfand hingegeben (Ru. I, 35).
Tout ont joue, tout ont beu.
(Ru. I, 35.)
Aufs notdürftigste gekleidet, steht er wieder draußen auf der
Landstraße
et avril entre
Et ,il n’ont riens defors le ventre.
(Ru. I, 35.)
Gleich einer pestartigen Krankheit hatte die Spielleiden¬
schaft das fahrende Volk ergriffen. Wenn sie nur irgend
etwas zu setzen vermögen, greifen sie zu den Würfeln. Im
Spiel suchen sie ihre Freude.
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Ez vous la joie:
N’i a si un qui ne s’esjoie. (Ru. I, 35.)
Selbst aufgeklärte Spielleute, wie ein Rutebeuf, können sich
nicht ihrem Bann entziehen. Er weiß es, daß er durch die
Würfel sich immer tiefer in Schulden stürzt, aber wie durch
einen Zauber gebannt, fühlt er sich immer wieder zum Spiel
hingezogen; er spielt von neuem und verliert. Selbst könig¬
liche Spielverbote, wie das König Ludwigs IX. aus dem Jahre
1254 (vergl. Lacroix p. 256), vermochten diesem Unheil, das
allmählich alle Schichten ergriffen hatte, wenig zu steuern. Daß
bei dieser Leidenschaft das Falschspielen auf der Tagesordnung
stand, nimmt nicht Wunder. Bezeichnend ist es, daß Rutebeuf
in „De Brichemer“ an Brichemer lobend hervorhebt, daß er
beim Spiel nicht betrüge.
Über die Wertschätzung, die die Spielleute von ihren Mit¬
menschen in damaliger Zeit genossen, erfahren wir wenig von
unseren Quellen. Eine alte Gegnerschaft war die Geistlich¬
keit. Die Menestrels ließen denn auch kaum eine Gelegenheit
Vorbeigehen, bei der sie nicht an den Leuten der Kirche ihren
beißenden Spott ausübten. Hervorzuheben ist jedoch, daß
Glaube und Dogma von den Spielleuten nie angegriffen wurde;
stets sind es nur ihre Diener, die ihre scharfe Kritik heraus¬
fordern. Ohne Zweifel war das Ansehen der Menestrels in
der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts im Sinken begriffen.
Das Zurücktreten des Ritterstandes hatte den Niedergang der
einst hoch geachteten und reich beschenkten Menestrels im Ge¬
folge. Die Klagen der Jongleurs, daß die Menschen das
Geben verlernt hätten und daß Geiz an die Stelle getreten sei,
mehren sich.
Menesterez sont esperdu;
Chascuns a son donet perdu.
(Ru. I, 2.)
Betrachten wir im folgenden die Musikinstrumente, die
von den Menestrels gespielt wurden. Erwähnt sei zunächst
als meist genanntes Instrument die Vielle, Viele, eine größere
Geige. Andere Saiteninstrumente sind die Harfe (harpe, C. R.
2727), die Gigue, eine dreisaitige Geige (Rose 22018), die Gui-
terne (Rose 22019), die Citole (Rose 19319), wohl wesensgleich
mit dem vorher genannten Instrument, die einmal erwähnte
Laute (leus, Rose 22019) und das Psalterion (psalterion N.
1192), nach Weinhold I, 156 eine mit Resonanzboden versehene
zehnsaitige, beim Spielen horizontal gehaltene Harfe. Die
Rubebe (Rose 22018) ist nach Schultz I, 555 eine Art Fiedel mit
zwei Saiten, die wie manches andere Saiteninstrument von den
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Arabern erfunden worden war. Die Frestel (Rose 21595) war
eine kleine Flöte mit drei Löchern, die Flahuste (N. 1069) nach
Schultz I, 557 eine Flöte mit acht Löchern. Interessant ist die
Rose 8498 angeführte Redensart fleuter par les rues = nfrz. trom-
petter par les rues, ausposaunen. Öfters erwähnt wird die
Schalmei (calimiel, R. N. 1069; chalemiel), einmal der Dudel¬
sack (chievrete, Rose 22035). Im Rosenroman (4509) trägt der
Wächter auf dem Walle der Burg seine sinnigen Weisen vor
„as estives de Cornvaille“, und ein Liebhaber „se travaille as
estives de Cornvaille“ (Rose 22040), plagt sich mit einem Dudel¬
sack aus Cornwall ab. Ein häufig angeführtes Instrument ist
die Trommel (tabour, N. 1068); unter Timbre versteht man
eine Handtrommel (N. 2440). Die Trompete in ihren verschie¬
denen Arten (trompe araine, N. 1096, cor N. 478, graille N.
568, buisine N. 568) wird in unseren Texten vorzugsweise als
Instrument benutzt, dessen Gebrauchsweise an die der heutigen
Fanfaren erinnert. Zur Vermehrung des Lärmes gebrauchte
man im Mittelalter schon Metallbecken, cimbales genannt (Rose
22030). Der Rosenroman erwähnt einmal eine kleine Orgel,
die man in einer Fland tragen kann und zur musikalischen Be¬
gleitung verwendet wird.
Orgues i r’a bien maniables,
A une sole main portables,
Oü il-meisme soufle et touche,
Et chante avec ä plaine bouche
Motes, ou treble ou teneure.
(Rose 22024.)
Eigentümlich mutet es uns an, wenn in demselben Roman
Schlaguhren als Musikinstrumente verwendet werden.
Et refait soner ses orloges
Par ses sales et par ses loges,
A roes trop sotivement.
De pardurable movement.
(Rose 22 020.)
Aus der Menge der Spielleute jener Zeit ist der Pariser
Menestrel Rutebeuf (ca. 1250—85) hervorzuheben. Er ver¬
körpert gewissermaßen in seiner Person den Typus des Mene-
strels aus der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts in rein¬
ster Form. Mit den Spielleuten seiner Zeit sich eins fühlend
(Ru. I, 33), steht er doch in erfreulicher Höhe über dem Durch¬
schnittsniveau seiner Klasse. Darauf angewiesen, von der
Dichtkunst zu leben, weil er sonst nichts gelernt hat (Ru. I, 9;
II, 205), versucht er sich fast in allen Dichtungsarten, teils aus
innerem Drange, teils auch um des materiellen Vorteils willen.
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Obgleich er stets in Geldnot schwebt, macht er sich lustig über
sich selbst, über seine ,Familie, über die ganze Welt. Mit
offenem Blick erkennt er die Schäden seiner Zeit und greift
daher, im Innern selbst tief religiös, die Geistlichkeit erbittert
an, verteidigt die berechtigten Forderungen der Pariser Uni¬
versität und macht mit kraftvollen Worten Stimmung für die
Kreuzzüge. Furchtlos wie er ist, macht seine Satire selbst vor
hochgestellten Personen, vor König und Papst nicht Halt. Als
echter Menestrel sucht er auch dem Volke zu gefallen.
J’ai fait rimes, et s’ai chante
So les uns por aus autres plere.
(Ru. 1, 40.)
Er wird vom König und von Hochgestellten geschätzt und
weithin geachtet. Wie seine Gesellen treibt auch er sich über¬
all herum:
J’ai toz jors engressie ma pance
D’autrui chatel, d’autrui substance,
(Ru. I, 39)
und ist ebenfalls dem Spielteufel verfallen, so daß er und seine
Familie durch das Spiel oft in die größte Not geraten.
Li de qui li detier on fet
M’ont de ma robe tout desfet;
Li de m’ocient,
Li de m’aguetent et espient,
Li de m’assaillent et deffient.
(Ru. I, 29.)
Rutebeuf gehört mit zu den letzten kraftvollen Vertretern
der Spielleute. Vom Anfang des XIV. Jahrhunderts lichten
sich schnell ihre Reihen, so daß wir ein halbes Jahrhundert
später nur noch wenige Fahrende finden. —
VII. Von Bauern und Bürgern.
Nachdem wir uns in den vorhergehenden Kapiteln mit
den beiden herrschenden Klassen im Mittelalter, mit dem
Klerus und dem Adel beschäftigt haben, wenden wir uns im
folgenden zu dem dritten Stand, zum Bürgertum. Vorher
mögen jedoch erst die wenigen Züge über den Bauer angeführt
werden.
Im Gegensatz zu den Fabliaux wird in unseren Dichtungen
der Bauer selten erwähnt. Einem Guillaume de Lorris und
Jehan de Meung lag eine Einführung dieser Person in ihr auf
die bessere Gesellschaft und ihre Ansichten basierendes Werk
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fern. In den Renartbranchen ist der „vilain“ der einfältige,
ganz ungebildete Bauer, der mit Leichtigkeit betrogen wird.
Bei Rutebeuf erhalten wir in seinen wenigen Bemerkungen das¬
selbe Bild von ihm. Der Bauer liebt weder Cleriker noch
Priester, und der Dichter glaubt daher nicht, daß Gott ihn ins
Paradies aufnehmen wird. Aber auch die Hölle ist ihm ver¬
schlossen; wegen seines ungebührlichen Benehmens mag ihn
selbst der Teufel nicht bei sich haben (vergl. Ru. „Li Diz dou
Pet auVilain“). Von der großen Geringschätzung, die man für
den Bauer hatte, zeugen auch die Verse im C. R. 3282, die Meon
für ein Sprichwort hält:
11 est voirs que mius moult vaut
Uns mors cortois c’uns vilains vis.
Ein besseres Bild erhalten wir von dem Bürger jener Zeit.
Die im allgemeinen friedvolle Regierung Ludwigs des Heiligen
war dem aufstrebenden Bürgertum günstig gewesen. Ein mun¬
terer kaufmännischer Geist, der alle seine Glieder belebt, tritt
uns in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts als
neuer charakteristischer Zug des dritten Standes entgegen.
Allerlei Früchte, wie Äpfel, Birnen, Pflaumen, Kastanien,
Feigen, Nüsse, Kirschen werden auf den Straßen verkauft
(Rose 8963). Diensteifrige Leute laufen in den verkehrsreichen
Straßen umher, um gegen Entgelt kleine Dienste zu verrichten.
Oftmals entspricht jedoch ihre Forderung keineswegs der ge¬
leisteten Arbeit; „sie wollen gut bezahlt sein und wenig dafür
tun“ (Ru. II, 22). Ruhelos lebt der Kaufmann. . Er möchte
immer mehr besitzen und er wird nie genug zusammengetragen
haben, weil er beständig in der Furcht lebt, das Erworbene zu
verlieren (Rose 5793). Um ihren Kundenkreis zu erhalten,
geben manche Kaufleute ihren Käufern, wenn diese nicht gleich
bezahlen können, die Ware auf Kredit und stellen einen Schuld¬
schein aus (Ru. I, 142). Andere wieder lassen sich als Pfand
für gelieferte Ware Kleidungsstücke geben (Rose 14 705). Wenn
unsere Dichter so häufig gegen die Wucherer (usuriers) ihre
Stimme erheben, so muß man bedenken, daß im Mittelalter
das Nehmen von Zinsen (lat. usurae) überhaupt als Wucher
bezeichnet wurde. Das Darlehen erschien dem Gläubigen als
ein Werk der Barmherzigkeit und der Liebe (Rose 5864), und
Zinsen zu nehmen war von der Kirche für Kleriker und Laien
als verdammenswert erklärt worden. Selbst noch auf dem
Konzil zu Vienne 1311 wurde der Wucherer mit dem Aus¬
schluß vom Abendmahl, Aberkennung des Rechtes ein Testa¬
ment zu machen, und Verweigerung des kirchlichen Begräb¬
nisses bedroht. Das kanonische Recht fand bald in der welt¬
lichen Gesetzgebung Unterstützung. Alle diese schweren
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Drohungen hinderten jedoch nicht, daß es doch Leute gab, die
Zinsen nahmen und die Notlage ihrer Mitmenschen benutzend
selbst ihren Gewinn gleich von der zu leihenden Summe
abzogen.
In wenig gutem Lichte tritt uns der „Bailli“ entgegen. Er
ist nach Glasson V p. 478 der unmittelbare Vertreter des
Lehnsherrn. Als solcher sucht er aus seiner ihm unter¬
stehenden Herrschaft (baillie Ru. II, 21) möglichst viel Ge¬
winn für seinen Herrn und für sich selbst zu ziehen. Um die
„Wege des Rechts“ kümmern sie sich wenig.
N’i gardent voie ne sentier
Par oü onques passast droiture.
De cele voie n’ont-il eure;
Aincois peussent ä porchacier
L’esploit au Seignor et traitier
Le lor profit de l’autre part:
Ainsi droiture se depart. (Ru. II, 21.)
Als richterlichen Vertreter des Lehnsherrn lernen wir den
Profoß (provost) kennen. Er hat für einen gewissen Bezirk
die Gerichtsbarkeit gepachtet (provoste Ru. II, 20), und sucht,
wie Rutebeuf sich ausdrückt, „diejenigen, die unter seiner
richterlichen Gewalt stehen, von allen Seiten zu rupfen“ (Ru. II,
20). Als Grund für dieses unlautere Verfahren führen sie die
hohe Pacht an und daß, um auf ihre Rechnung zu kommen,
sie darauf angewiesen wären, überall zu nehmen (Ru. II, 20).
Im Rosenroman 6205 werden Baillif und Prevost als rechts¬
sprechende Personen angeführt.
In gleichem Atem mit Bailli und Provost wird der „ma-
jeur“ (Ru. II, 20), „maiour“ (Rose 12 466) und der „bediaus“
(ib.) genannt. Sie sind nach Rutebeuf wegen ihrer Begehrlich¬
keit die schlimmsten von den Laien (Ru. II, 20), und Jehan
wirft ihnen vor, „daß sie alle beinahe vom Raub leben“
(Rose 12 467).
Die Advokaten jener Zeit sind Kleriker, die das Recht ge¬
lernt haben und „ihre Redefertigkeit verkaufen wollen“.
Allerlei Gezänk und listige Pläne haben sie im Kopf. Sie ver¬
stehen es ausgezeichnet, die Rechtsfragen zu verdrehen und
wenn es sich um gute Bezahlung handelt, das Recht zu biegen
und zu mißbrauchen.
[II] penssent baras et cauteles,
Et metent ce devant derriere.
Ce que ert avant va arriere,
Car quant dant Denier vient en place
Droiture faut, droiture efface.
(Ru. II, 19.)
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.Ja, die Sucht nach Besitz läßt sogar manchen Advokaten lügen,
„das Recht umdrehen und das Unrecht billigen“.
Convoitise, qui fait maint avocas mentir
Et le droit bestorner et le tort consentir.
(Ru. II, 43).
Von den Richtern (juges) wird nicht viel besseres gesagt.
Sie sind von der Obrigkeit eingesetzt, um dem Bedrängten
Schutz und dem Übeltäter ein strenger aber gerechter Richter
zu sein (Rose 6188). Sie sollen dafür sorgen, daß der Frieden
bewahrt bleibt, die Bösen bestraft und die Verbrecher gehängt
werden, doch stets eingedenk ihres Schwures, gerecht zu sein
(Rose 6403). Doch häufig verkaufen sie das Recht. Die Armen
haben gewöhnlich Unrecht. Und so mancher Richter, der einen
Schurken hängen läßt, müßte selbst an den Galgen kommen,
wenn über seine Räubereien und seine mit vollem Wissen
begangenen Ungerechtigkeiten das Urteil gesprochen würde
(Rose 6314).
Man unterschied zwischen weltlichen und geistlichen Ge¬
richtshöfen. In den weltlichen Gerichtshöfen besaß der Lehns¬
herr die oberste richterliche Gewalt. Wie wir oben gesehen
haben, übten der Profoß und der Bailli oft die richterlichen
Befugnisse als Vertreter des Lehnsherrn aus. Als König Nobles
in feierlicher Prozession von der Messe kommt, wird das könig¬
liche Schwert entblößt vor ihm hergetragen als Zeichen, daß
er „ein gerechter Richter, der Rächer alles Bösen und das
Schwert der heiligen Kirche ist“ (N. 3033).
Als Leiter einer geistlichen Gerichtsversammlung wird im
„Testament de l’Ane“ ein Bischof genannt. Als Beisitzer fun¬
gieren einige Priester. Dem Bischof stand das Recht zu, den
Geistlichen wegen eines Vergehens zu einer Geldstrafe oder
selbst zu einer Gefängnishaft zu verurteilen (Ru. II, 84). Diese
Geldstrafen bildeten einen beträchtlichen Teil des Einkommens
jener Personen, die das Privileg besaßen, die Gerichtsbarkeit
auszuüben. Der Bischof, der im „Testament de l’Ane“ zu Ge¬
richt sitzt, ist überschuldet, und er ergreift daher mit Freuden
die Gelegenheit, über den reichen Priester eine Geldstrafe
zu verhängen und dadurch seine eigenen Finanzen aufzubessern.
Zuweilen entspann sich ein Streit über die Machtbefug¬
nisse der einzelnen Gerichtshöfe (vergl. p. 41).
Ein uns eigentümlich anmutender Rechtsspruch begegnet
uns im Roman de Ia Rose (8117). Wenn ein Dieb auf frischer
Tat ertappt wird, wie er Geld oder Wäsche von der Stange
oder Getreide aus dem Speicher gestohlen hat, so kann er
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63
gegen Ablieferung des vierfachen Betrages von dem gestohle¬
nen Gut freigelassen werden. Als Strafe wird die Hinrichtung
durch den Strang genannt (N. 3017).
Als weiteren Vertreter des Bürgertums lernen wir den
Arzt kennen. Die damalige Heilkunde holte ihre Kenntnisse
aus der Überlieferung der Alten. Als berühmte Mediziner führt
Jean de Meung an: Hipocras, Galien, Rasis, einen arabischen
Mediziner aus dem IX. oder X. Jahrhundert, den Griechen
Constantin und Avicenne, einen arabischen Mediziner und Phi¬
losophen des XI. Jahrhunderts (Rose 16 805). Daneben galt
Aristoteles als Autorität auf diesem Gebiet (N. 4808). Die
Heilkunst hielt man verwandt mit der Astronomie und mit der
dunklen Kunst der Nigromanzie und der Magie. Im Renart
le Nouvel stellt sich Renart mit folgenden Worten als Arzt vor:
Je sui sire, uns fisissiens,
De mainte Science sciiens,
De fisique et d’astronomie,
Et d’ingremance et de surgie,
De natures et d’augorisme.*) (4780.)
Zur Bildung einer Frau der höheren Stände gehörte es,
einige Kenntnisse in der Heilkunst zu besitzen. So wird uns
die heilige Elisabeth als gute Ärztin gerühmt, die die Kranken
badete, zu B^tt brachte und ernährte und nicht wie manche
andere Ärztin (mirgesse) das Geld nahm und dann den Kranken
sich selbst überließ (Ru. II, 340). ?
Als Heilmittel werden Kräuter, Wurzeln und Steine ge-; ,
nannt. Von der Ansicht ausgehend, daß Krankheiten von bösen
Geistern dem Menschen zugefügt würden, suchte man durch
wunderkräftige Steine oder durch Gebete Hilfe zu verschaffen.
Im Renart le Nouvel zählt ein Arzt seine Heilmittel auf:
s’ai
Sour moi ierbes, pieres, racines
De moult diverses medecines.
(N. 4706.)
Außerdem hat er noch Sachen bei sich, mit denen er Dinge
erraten und in die Zukunft sehen kann (N. 4804).
Man verstand es auch, aus Kräutern mehr oder minder
stark wirkende Schlafmittel herzustellen (Rose 15 288).
Um die Diagnose einer Krankheit zu stellen, nahm man
den Urin zur Hilfe (Ru. II, 201).
Es ist nicht zu verwundern, daß bei einer so unsicheren
Grundlage der Heilkunst sich allerlei unfähige Elemente damit
•) l’art de calculer, la sience des noinbres (Meon).
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abgaben, aus den Krankheiten ihrer Mitmenschen Kapital zu
schlagen, indem sie ihnen allerhand Quacksalbereien zur Lin¬
derung anboten. Kräuterverkäufer ziehen im Lande umher,
schlagen vor den Klöstern ihren Tisch auf und breiten allerlei
Kisten und Schachteln darauf aus (Ru. II, 58). Eine treffliche
Beschreibung von dem marktschreierischen Treiben dieser
Scharlatane gibt uns Rutebeuf in seinem „Diz de Pherberie“.
Der Händler gibt sich zur Erhöhung seiner Glaubwürdigkeit
als Arzt aus und erzählt dem staunenden Volk von seinen
großen Reisen und von der Wunderkraft seiner Heilmittel. Es
gibt keine Krankheit, die er nicht heilen könnte. Seine eigenen
Eltern hat er durch sein bestes Kraut vom Tode gerettet. Doch
muß man vorsichtig mit der Quantität seiner Kräuter umgehen.
„Es gibt keinen Ochsen noch Hengst in diesem Lande, der
so stark wäre, daß er ein Pfund von meinen Kräutern zu sich
nehmen könnte, ohne nicht sofort zu sterben. Denn so stark
und bitter sind die Kräuter.“
Ein Mittel, das man häufig gegen allerlei Krankheiten an¬
wandte, war eine Schwitzkur. Um mit dem Geliebten zu¬
sammenzukommen, heuchelt im Rosenroman (15 303) eine ver¬
heiratete Frau Fieber, Gicht oder ein Geschwür zu haben und
hält eine Schwitzkur als bestes Mittel zur Heilung der Krank¬
heit. Der Gatte läßt sie nichts ahnend das Bad aufsuchen.
Dort trifft die Frau ihren Liebhaber und beide baden dann zu¬
sammen. An einer anderen Stelle desselben Romans wird uns
erzählt, wie Damen und Herren zusammen in der Wanne
ein Bad nehmen. Auf den Köpfen tragen sie Kränze von Blumen
(Rose 10 843). Da die Badestuben (estuves Rose 15 306) öfters
von leichtsinnigen Frauen zum Ort gemeinsamer Freuden mit
ihren Buhlen benutzt wurden, kamen sie bald unter strenge
Kontrolle. Zum Schluß sei noch erwähnt, daß das Baden im
Mittelalter als Luxus angesehen wurde. Den Mönchen war
es untersagt, zu baden: Den Körper zu waschen und zu baden
wird als ebenso verächtlich t angesehen als ihn gut ernähren
(Ru. II, 142). -
VIII. Von der Frau.
Haben wir im vorhergehenden einigeVertreter des Bürgertums
kennen gelernt, so soll uns dieses Kapitel mit ihrer häuslichen
Gefährtin beschäftigen. Die Tage waren vorüber, in denen von
den Minnesängern mit hohen Worten der Frauendienst ge¬
priesen wurde, und gewissermaßen als Reaktion auf diesen Kult
der Frau folgte unsere Zeit mit ihrer nüchternen und oft un¬
gerechten Auffassung vom Weibe. Die geringe Achtung vor
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der Frau zu unserer Periode gibt ein gutes Spiegelbild von
jener auf das Reale gerichteten Welt ab, die im XIII. Jahr¬
hundert bei dem aufstrebenden Bürgertum in Frankreich Platz
ergriffen hatte.
Die Ansicht der Kirche über das Weib beeinflußte dabei
das natürliche Empfinden der Zeit. Sie warf der Frau immer
wieder das Vergehen der Eva vor, das für die Menschen so
schwere Folgen nach sich zog. Die Frau war somit schlecht¬
hin die Ursache für alle jene Übel und Leiden in dieser Welt
und für alle Qualen im zukünftigen Leben. (Ru. I, 216).
Die Frau ist voller List; es ist schwerer sie als den Teufel
zu betrügen.
Qui fame voudroit decevoir,
Je li faz bien apercevoir
Qu’avant decevroit l'anemi,
Le deable, ä champ arami.
(Ru. II, 105.)
Jedes Mittel, den Mann zu betrügen, ist ihr willkommen (Rose
14 530). Will der Gatte mit seinem Weibe in Frieden leben,
so kann er dies nur dadurch erreichen, daß er sich nicht um
ihr Treiben kümmert (Ru. II, 112). „Gewissenlos handelt sie
im Lieben und Hassen und achtet nicht auf Ehre noch Schande,
wenn sie ein Ziel verfolgt“ (Rose 10 163). Wie die Eva der
Bibel, sucht die Frau die Männer zu verführen und ihre Seelen
zu verderben (Ru. II, 268). Lüstern gibt sie sich leicht dem
Manne hin, sodaß Jehan de Meung zu dem harten Urteil
gelangt:
Toutes estes, seres, on futes,
De fait ou de volonte putes;
Et qui bien vous encercheroit,
Toutes putes vous trouveroit. (Rose 9903.)
Durch Gaben, schon durch wenige Denare, läßt sich die Frau
betören (Rose 9048). Geistige Fähigkeiten des Mannes vermag
sie wenig zu schätzen, eine gefüllte Börse dagegen macht den
Mann leicht liebenswert (Rose 9088). Darum soll ein Liebhaber
bei Frauen nicht mit Geschenken kargen (Rose 2225).
„Vous qui fernes aves
Gardes trop ne vous i fies!“
ruft der Verfasser des Renart le Nouvel seinen Lesern zu.
Die Zahl jener Ehemänner, die zum heiligen Arnold, dem Schutz¬
patron der in der Ehe Betrogenen beten, wird immer größer
(„Ernol, le seigneur des cous“, Rose 9878).
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„Drum prüfe, wer sich ewig bindet.“ „Die Ehe ist ein
lästiges Band, und es gibt keinen, der geheiratet hat und es
nicht schon bereut hätte“ .(Rose 9582, ib. 9434). Vor der
Heirat ist die Frau voller Liebenswürdigkeiten. Kaum ist sie
aber vermählt, so läßt sie die Maske der Verstellung fallen und
ihr wahres Wesen sehen. Voller Bosheit tritt sie jetzt dem
Gatten gegenüber (Rose 9423). Die schönen Kleider und
Bänder, die er ihr geschenkt hat, zieht sie für ihre Liebhaber
an, für ihn selbst sich zu putzen, hält sie jedoch nicht für
nötig (Rose 9608).
„Wenn man auf den Pfaden der Liebe wandeln will, so
ist es besser, seine Neigung weltlichen Frauen als Nonnen
zu schenken. Denn man veranlaßt damit weniger Tadel, und
dann sind die weltlichen Frauen den Männern auch willfahren¬
der. Die Nonnen verursachen überdies noch größere Ausgaben“
(Rose 15 366).
Wie dachte man sich das Wesen der Liebe? Jean deMeung
möge uns Antwort geben:
(Amors, se bien suis apensee,
C’est maladie de pensee
Entre deus personnes annexes
Franches entr’eus, de divers sexes,
Venans as gens par ador nee
De vision desordenee,
Por eus acoler et baisier,
Et por eus charnelement aisier.
Amors autre chose n’atant,
Ains s’art et se delite en tant.
(Rose 4993.)
Doch ohne Liebe ist kein Mensch vollkommen.
Sans amor n’est homme parfait,
Ne par parole ne par fait.
C’est la fin, c’est la somme,
Amors fait tout le parfait homme.
(Rose 5070.)
Auch schon in damaliger Zeit hatten sich die Ehemänner
über die kostspieligen Kleider ihrer Frauen zu beklagen (Rose
9594). Denn die Frauen wissen wohl
biaus garnemens font beles
Les dames et les damoiseles (Rose 9642),
und so möchte jede in ihrer Eitelkeit ihre Reize noch durch
kostbare Kleider und Bänder erhöhen. „Weltliche Frauen und
Nonnen, alte und junge, mögen sie sonst auch noch so guten
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Charakter haben, freuen sich, wenn man ihre Schönheit be¬
wundert“ (Rose 10692).
In dem Bemühen, ihre Mängel zu verbergen und sich mög¬
lichst schön zu putzen, greift die Frau oft zu unerlaubten
Mitteln, zu falschen Haaren und zur Schminke (Rose 9776).
Wie der Mönch von Montaudon ist auch Jehan ’de Meung der
Ansicht, daß die Frau sich gegen Gott versündige, wenn sie
schöner scheinen wolle als der Herr sie geschaffen habe.
Moult font fames ä Dieu grant honte,
Comme foles et desvoiees,
Quant ne se tienent ä poiees
De la biaute que Diex lor done.
(Rose 9791.)
Zu allen diesen Eigenschaften gesellt sich bei der Frau
noch der Geiz hinzu. Eine Frau, die freigebig ist, handelt
schlechthin gegen die weibliche Natur (Rose 15378). Da¬
gegen möchte sie immer mehr besitzen und gierig Güter zu¬
sammenraffen (Rose 9032). Im Urteilen ist sie schwach. Ein
Geheimnis kann man ihr nicht anvertrauen. Denn wenn sie
es erst kennt, dann wissen es bald auch mehrere. Gerne
fängt sic Streit um Kleinigkeiten an und sie ist schwer zur
Ruhe zu bringen (Ru. I, 218). Hartnäckig verharrt sie bei
ihrem Willen. Selbst durch Schlagen und Mißhandeln ist sie
nicht von ihrer Gewohnheit abzubringen (Rose 1909). Kurzum,
die Frau ist voller Laster und zu allen Schandtaten bereit.
Briefment, en fame a tant de vice,
Que nus ne puet ses meurs pervers
Conter par rimes ne par vers.
(Rose 17271.)
Car ä faire grans deablies
Sunt toutes fames trop hardies.
(Rose 20996.)
Angenehm berührt es, wenn auch einmal das Lob einer
Frau gesungen wird. So tritt uns in Rutebeufs „La famme au
Chevalier“ die Frau des Ritters als eine edle Dame entgegen,
die ohne Stolz und ohne Neid, einfach, mildtätig, ehrenhaft
und klug war. Sie liebte Gott und dessen Mutter. Gegen
die Armen war sie gütig und bereitete ihnen oft nachts ein
Lager, auf dem selbst ein König mit Wohlgefallen hätte schlafen
können (Ru. II, 116).
Es würde sehr gewagt sein, wollten wir auf die Äuße¬
rungen unserer Dichter hin über die Frau jener Zeit den Stab
brechen. Die satirische Neigung der Dichter jener Zeit mag
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manches übertrieben haben. Oft wird auch die gedrückte
Stellung der Frau dieselbe veranlaßt haben, sich dagegen zu
wehren und dabei zu wenig ehrenhaften Mitteln zu greifen.
Bei der allgemeinen Ansicht von der Frau als eines begehrlichen
und voller Fehler steckenden Geschöpfes glaubte man, ihr auch
wenig Recht einräumen zu dürfen. Sie stand weit unter dem
Manne; sie war das retardierende Moment auf seinem Wege
zum Guten, dessen Einfluß man sich möglichst entziehen
sollte. Diese Ansicht, in der Frau ein negierendes Wesen zu
erblicken, hatte tiefe Wurzeln geschlagen, und als nach un¬
gefähr hundert Jahren Christine von Pisa, die „erste Frauen¬
rechtlerin“, wie Gröber sie nennt, es in ihrer „Epistre au dieu
d’amours“ wagte, Jean de Meung anzugreifen und die von ihm
geschmähte Frau in Schutz zu nehmen, da stand noch mancher
Schriftsteller auf, der für den Verfasser des Rosenromans
eintrat.
Von den Dienstboten werden in unseren Texten nur die
Kammerfrau und die Amme erwähnt. Die Kammerfrau (cham-
briere Rose 15172) ist die Vertraute ihrer Herrin. Sie weiß
von ihren Liebeswegen, unterstützt sie dabei und verteidigt
sie gegen ihren Gatten, wenn dieser Verdacht schöpft
(Rose 15313).
Die Amme (norrice Ru. I, 15) hat im Mittelalter eine
größere Rolle gespielt als man vielleicht annehmen möchte.
Sowohl im Rosenroman wie im Renart le Nouvel wird sie häufig
erwähnt und als ein Muster von Dummheit und ungeschliffenem
Wesen hingestellt (Rose 14384; N. 5172). Selbst Rutebeuf,
der gegen materielle Sorgen schwer zu kämpfen hatte, hielt
sich für seine Kinder eine Amme (Ru. I, 15). Man scheint oft
mit ihnen wenig zufrieden gewesen zu sein. Der Dichter des
Renart le Nouvel ruft seinen Lesern die Warnung zu, vorsichtig
in der Wahl der Amme zu sein.
Ki enfant a moult bien se gart
A quel nourice il met Tenfant,
Se ii nourice a 'de soignant
Enfant, u s’ele en est estraite,
Et de bones meurs s’ele est gaite,
Et s’ele est ä preudome fille.
(N. 5234.)
Viele Ammen sind unfähig, die Kleinen zu stillen und veran¬
lassen durch ungenügende Ernährung deren frühzeitigen Tod
(N. 5185). Es ist überhaupt nicht ratsam, seine Kinder ihnen
anzuvertrauen; denn durch die Milch werden auch die Sitten
der Ammen auf das Kind übertragen.
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59
Et de tout $ou ne doutes ja,
De teus meurs que la nourice a,
' De qui lait l’enfes est nouris,
Ara en lui, j'en sui tous fis.
(N. 5181.)
Manche geben ihnen Milch von einem Mutterschwein zu trinken
und veranlassen dadurch, daß die Eigenschaften des Schweines
auf das Kind übergehen (N. 5205).
Am besten ist es, wenn die Mutter ihr Kind selbst stillt. Dann
wird es gesund aussehen und in kurzer Zeit groß und kräftig
sein (N. 5213).
Suchen wir die mittelalterliche Frau in ihrer Häuslichkeit
auf, so werden wir sie oft am Spinnrad sitzend antreffen. Sie
verarbeitet den Flachs, um aus dem gesponnenen Faden die
unentbehrliche Leinwand zu gewinnen. Diese echte Frauen¬
arbeit wurde selbst von hochgestellten Frauen ausgeübt. In
Rutebeufs „La Dame qui fist trois tours . . . .“ gibt die Frau
des Ritters vor, die ein Stelldichein mit einem Priester verab¬
redet hat, zur Nachbarin zu gehen, um dort zu spinnen. Auch
die heilige Elisabeth war eine fleißige Spinnerin. Die ge¬
wonnene Leinwand verkaufte sie und gab den Erlös den Armen
(Ru. II, 339). Doch war es in jener Zeit immerhin etwas un¬
gewöhnliches, daß eine königliche Prinzessin sich mit Spinnen
beschäftigte (Ru. II, 371).
Liebte man es auch immer wieder bei der Frau die weniger
guten Eigenschaften hervorzuheben, die guten aber fast un¬
beachtet zu lassen, so gehen die Dichter doch nicht stumm an
den weiblichen Reizen vorüber, sondern wo sich Gelegenheit
bietet, preisen sie die Schönheit der Frau in vielen Worten
und Vergleichen. Als ein vollkommen schönes Weib, als das
Ideal stellen sie sich eine schöngebaute Frau vor, die ein wenig
voll und doch dabei zierlich und zart sein soll (grassete et
gresle, gente et jointe; Rose 1020). Das Haar muß bei einer
Schönen unbedingt goldblond und lang sein, die Haut weiß
wie eine Lilie und zarter wie die eines Küchleins. Der mittel¬
alterliche Mensch erfreute sich an der faltenlosen und leuch¬
tend weißen Stirn der Frau, an den kühn gewölbten Augen¬
bogen, die im Gegensatz zum blonden Haupthaar mit braunen
Augenbrauen besetzt sind und nicht zu eng aneinanderstehen.
Große lachende Augen, die mehr glänzen und spielen als die
eines Falken (yez plus vairs c’uns faucons) haben schon manche
tiefe Liebesleidenschaft wachgerufen. An dem Ideal der
schönen Frau wünscht man noch zu sehen eine schön geformte
Nase, lang und schmal, einen kleinen Mund mit roten vollen
Lippen, unter denen beim Lachen kleine, blendend weiße Zähne
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hervorleuchten, sanften Atem, im Kinn ein Grübchen und weiße,
sanft gerötete Wangen. Der Nacken soll von schönem Eben¬
maß sein, kräftig und frei von Pusteln, der Hals schlank und
weich und die Kehle weiß wie frischgefallener Schnee. Sanftes
und gefälliges Wesen' macht bei all diesen Schönheiten das
Weib nur noch liebenswürdiger.
Es sei uns erlaubt, gleich an dieser Stelle ergänzungsweise
auch das Ideal der männlichen Schönheit anzuführen. Im
Rosenroman v. 805 ff. beschreibt uns der Dichter „Deduit“ als
einen jungen Mann, der schön, groß an Gestalt und gut ge¬
wachsen ist. Blondgelockte Haare schmücken den Kopf, die
Augen sind glänzend, die Nase ist kühn geschwungen (le nez
fait par grant entente), der Mund edel geformt und das Gesicht
wie ein Apfel rot und weiß. Ein weicher Flaum ziert seine
Lippen. Breite Schultern und schlanke Hüften zeichnen den
gutgebauten Jüngling aus. Gewandt und leicht weiß er sich
zu bewegen und sich dadurch die Zuneigung der Damen zu
gewinnen.
Für das Benehmen gab es streng geregelte Gesetze. Es
mögen zuweilen die einfachsten Anstandspflichten verletzt wor¬
den sein, da die Dichter auch diese immer wieder dem Zeit¬
genossen einprägen zu müssen glaubten. Dulde keinen
Schmutz an dir. Wasche dir die Hände, reinige die Zähne und
putze auch die Nägel. Kämme dein Haar ordentlich und nähe
die Ärmel an (hierzu vergl. pag. 65). Aber hüte dich davor,
dich schöner machen zu wollen als Gott dich geschaffen hat,
und gebrauche keine Schminke. Denn nur übelbeleumdete
Menschen suchen durch solche Mittel sich die Liebe anderer
zu gewinnen (Rose 2175). Recht beherzenswert sind auch
folgende Lehren:
Mene-toi bei solonc ta rente,
De robes et de chaucemente:
Bele robe et biau garnement
1 Amendent les gens durement. (Rose 2151.)
Leutseliges Wesen gegen seine Mitmenschen wird anempfoh¬
len. Grüße zuvorkommend auf der Straße, und wenn du
zuerst gegrüßt wirst, so gehe nicht stumm vorüber, sondern
erwidere höflich den Gruß. Ist man in Gesellschaft, so geziemt
es sich, beim Lachen sich nicht zu laut zu benehmen. Der
Mund soll nicht aufgesperrt werden; gebildete Leute blasen
auch nicht die Backen auf, wenn sie lachen, sondern schließen
den Mund so, daß auf beiden Seiten Grübchen entstehen (Rose
14292). Pünktlichkeit ziert eine Dame sehr.
Die Warnung:
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garde qu.e tu ne dies
Ces orz moz ne ces ribaudies;
Ja por nomer vilaine chose
Ne doit ta bouche estre desclose:
Je ne tiens pas ä cortois homme
Qui orde chose et lede nomine
(Rose 2119.)
spricht klar aus, entgegen einer in unserer Zeit weit ver¬
breiteten Ansicht, daß die Frauen des XIII. Jahrhunderts sich
ebenso wie die unserer Tage scheuten, unanständige und ge¬
meine Worte in den Mund zu nehmen (Rose 7680).
Kleine Gaben, Obst oder Blumen soll man den Frauen
zuweilen zum Geschenk machen. Früchte, in ein Tuch oder
ein Körbchen verpackt, schickt man der Geliebten, und da¬
mit das Geschenk mehr Eindruck auf sie mache, versichert
man ihr, daß einer ihrer Freunde es von fern her geschickt
habe, wenn man es auch erst soeben auf der Straße gekauft
hat (Rose 8959). Eine kleine Freude kann der Verehrer auch
seiner Dame bereiten, wenn er Gürtel, Kopfkissen, schöne
Tücher, Almosentäschchen, Nadelbüchsen, Messerchen oder
dergl. ihr schenkt. Doch dürfen diese Gegenstände nicht zu
teuer sein, um nicht den Anschein zu erwecken, man wolle
die Gunst der Dame erkaufen (Rose 15 354). Von den Damen
Geschenke anzunehmen, scheut sich ein kluger Mann:
car dohs de fame, ä dire voir,
Ne sunt fors laz ä decevoir. (Rose 15 376.)
Besitzen wir die Keckheit und sehen einer Dame beim
Toilettemachen zu, so werden wir staunen über die Anzahl der
Mittel, die eine Dame des XIII. Jahrhunderts bereits kannte,
um ihre Reize zu erhöhen. Wie wir oben gelesen haben, wird
im alten Frankreich eine weibliche Schönheit stets als blond
geschildert. In Rom zur Zeit des Kaiserreiches hatte das gold¬
blonde Haar das Gefallen der Römerinnen erregt, sodaß sie
hochblond zur Modefarbe erhoben. Dieser Geschmack erhielt
sich im Mittelalter in den romanischen Ländern (vergl. Wein¬
hold II, 313). Ein echter Schmuck für ein Weib war langes
Haar (Rose 1012), aber lockigtes galt für das schönste (Ru. II,
363). Man trug das Haar in Zöpfe geflochten. Daß es zu¬
weilen auch offen getragen wurde, wird zwar in unseren Quellen
nicht erwähnt, ist aber leicht anzunehmen. Andere wieder
ordneten das Haar zu einer hornähnlichen Frisur (sus ses
oreilles port tex cornes, Rose 14 238). Da sich so manche Dame
eines blonden Haarschmuckes nicht erfreuen konnte, griff sie
zu Färbemitteln, die man aus Früchten, Holz, Blättern, Rinde
oder Wurzeln herstellte.
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Et s’el ont niestier d’estres taintes,
Teigne-Ies en jus d’erbes maintes,
Car moult ont forces et mecines
Fruit, fust, feulle, escorce et racines.
(Rose 14 242.)
Zum großen Schrecken mancher Schönen mußte sie bemerken,
wie ihr die Haare ausfielen. Da nahm sie ihre Zuflucht zu
den falschen Haaren; eine gestorbene Frau gab ihr ihre Flechten
oder Unterlagen von Seidenfäden ließen ihren spärlichen Haar¬
wuchs ansehnlicher und voller erscheinen (Rose 14 224). Doch
wollen wir mit Helene Jakobius p. 17 zur Ehre der damaligen
Frauenwelt annehmen, daß die Anwendung falscher Haare in
sehr beschränktem Maße betrieben wurde. Gautiers Be¬
hauptung La Chevalerie, p. 396 „presque toutes les femmes
ajoutent ä ces tresses „naturelles“ un emprunt, plus ou moins
notable, de faux cheveux“, ist sicher übertrieben, wenn wir das
Ergebnis entgegenhalten, das Helene Jacobius aus den Chan¬
sons de geste gezogen hat: „Nirgends aber lesen wir in
unseren Texten etwas von der Verwendung falscher Haare, die
im Clef d’Amour und im Roman de la Rose empfohlen wird
und gegen welche Unsitte der Verfasser des „Dit desCornets“
so sehr eifert.“
Ist eine Dame nicht hübsch im Gesicht, erfreut sie sich
aber eines üppigen Haarwuchses, so soll sie ihre Flechten ge¬
schickt anordnen und so einen guten Gesamteindruck herbei¬
führen (Rose 14156).
Verbreiteter scheint die Anwendung von Schminke unter
den Damen gewesen zu sein. Denn wenn die Dichter die
Schönheit einer Frau besonders rühmen wollen, so weisen sie
darauf hin, daß ihre Gesichtsfarbe, schneeweiß mit frischem
Rot angehaucht, eine natürliche sei und nicht mit Schminke
aufgetragen (Rose 1008, ib. 14 246). Die Schminke bestand
aus Fett und Kräutern (N. 1434). Die Zahl der Mittel war
eine sehr große. Es sei daran erinnert, daß der Mönch von
Montaudon nicht weniger als dreihundert verschiedene Büchsen
aufzählen konnte. „Doch hüte sich die Frau, daß jemand die
Schminke bemerke.“
Mes bien gart que nus de ses ostes
N’es puist ne sentir ne veoir:
Trop li en porroit mescheoir.
(Rose 14 251.)
Schmollt eine Dame ihrem Liebhaber oder sucht eine Frau
ihren Mann durch Tränen weich zu stimmen, so empfiehlt der
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Roman de la Rose, die Augenlider mit einer Salbe, mit Wasser
oder einer anderen Flüssigkeit zu befeuchten, um Weinen vor¬
zutäuschen (Rose 8215).
Recht unangenehm war für eine Schöne übelriechender
Atem. Doch auch dieser Fehler läßt sich verdecken, wenn sie
sich hütet, mit nüchternem Magen zu sprechen und sie bei
der Unterhaltung nicht zu nahe an die angeredete Person heran¬
tritt (Rose 14 286).
Bläschen auf der Hand lassen sich mit einer Nadel ent¬
fernen, andere Hautunreinlichkeiten aber geschickt mit Hand¬
schuhen verdecken (Rose 14 263). Um Wäsche und Kleidung
wohlriechend zu machen, benutzte man im alten Frankreich nach
dem Beispiel der Orientalen bereits wohlriechende Mittel
(diverses olors Rose 6862). Ein voller Busen gehört mit zu
den Schönheiten eines Weibes. Um ihm Halt zu geben, ver¬
wandte schon damals die kokette Frau eine Art Korsett: sie
nahm ein Tuch und wickelte es um den Körper oberhalb der
Hüften (Rose 14 270). Weitere Ratschläge über das Verhalten
der Frau namentlich auf der Straße gibt im Roman de la Rose
eine alte Kokette, die Vieille.
Et par les rues s’en ira
Si soit de beles aleures,
Non pas trop moles ne trop dures,
Trop eslevees ne trop corbes,
Mes bien plesans en toutes torbes.
Les espaules, les costes mueve
Si nobiement, que Pen ne trueve
Nule de plus biau movement;
Et marche jolietement
De ses biaus soleres petis,
Que faire aura fait si fetis,
Qui joindront as pies si ä point
Que de fronce n'i aura point.
(Rose 14 473.)
Vers 14 486 ff. sehen wir eine andere Dame die Straße herauf¬
kommen. Ihr Kleid, welches eine Schleppe trägt, hat sie graziös
auf der einen Seite, ihre Bekannte, die mit ihr geht, vorne
aufgehoben. Reizende enganliegende Schuhe sehen hervor und
lassen auf einen kleinen Fuß der Schönen schließen. Graziös
und mit kleinen leichten Schritten gehen beide einher und sind
sichtbar erfreut, daß die Augen der Vorübergehenden bewun¬
dernd auf ihnen ruhen. Eine andere Schöne wagt weniger
der herrschenden Sitte zu trotzen. Denn nach der damaligen
Mode trägt sie über ihrem Kleid noch einen Mantel. Sie be-
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dauert lebhaft, daß dadurch ihre schöne Gestalt nicht genügend
zur Geltung kommt. Mit beiden Händen hat sie den Mantel
aufgerafft und spielt geschickt mit den Enden. Die Borte auf
dem Kleid wird dadurch frei, und zur Freude der ihr nach¬
blickenden Männer werden zuweilen auch ihre kleinen Füße
mit den eng anliegenden Schuhen sichtbar (Rose 14 496).
Einen guten Rat, um einen Mann zu bekommen, gibt noch
im Rosenroman die alte Kokette den jungen Mädchen:
Sovent voise ä la mestre eglise,
Et face .visitations
A noces, ä festes, ä karoles,
Car en tex leus tient ses escoles
Et chant ä ses disciples messe
Li diex d’Amors et la deesse.
Daß es im Mittelalter auch nicht an öffentlichen Dirnen
fehlte, zeigt uns Rutebeufs „Vie de Sainte Marie TEgiptianne“.
Die Heldin des Stückes verläßt mit zwölf Jahren das elter¬
liche Haus, gibt sich dem Trünke hin und wird schließlich
eine Dirne. .
Mes de Tautrui n’avoit envie:
Robes, deniers; ne autre avoir
Ne voloit de Fautrui avoir.
Por gaaing tenoit bordelage ;
Et por proesce tel outrage. (Ru. 11, 265.)
So trieb sie es siebzehn Jahre lang, bis sie durch Gott einem
reinen Leben zugeführt wurde. Die Dirnen trugen besondere
Kleidung, damit sie sich von den ehrbaren Frauen unterschieden
(Ru. 11, 269).
IX. Von der Kleidung.
Wie kleidete sich der mittelalterliche Mensch und aus
welchem Stoff waren seine Kleider? Die Dichter können uns
manche Antwort darauf geben; sie liebten es, ihre Gestalten
dadurch anschaulich zu machen, daß sie aus Mangel einer
psychologischen Charakterisierung Äußerlichkeiten wie Klei¬
dung, Waffen, körperliche Vorzüge anführten.
Gewöhnlich legte man sich unbekleidet d. h. ohne Hemd
zu Bett (Rose 9837). ln Rutebeufs „Du Secrestain“ lesen wir,
daß die Dame des Ritters sogleich nach dem Aufstehen das
Hemd und dann das Kleid anzieht, um in die Messe zu gehen.
Das Hemd (chemise) bildete im Mittelalter das unterste Ge-
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wand. Es hüllte den ganzen Körper ein und reichte vom Halse
bis zu den Fußspitzen. Am Halse wurde es durch eine Spange
zusammengehalten und war bei den feinen Damen mit Borten
geschmückt, die das darüberliegende Kleid durch einen Aus¬
schnitt frei ließ (Rose 1179). In unserer Zeit jedoch glaubten
die Damen ihre Reize auch zeigen zu dürfen und ließen ihre
Hemden tief ausschneiden.
S’ele a biau col et gorge blanche,
Gart que eil qui sa robe trenche,
Si tres-bien la li escolete,
Que sa char pere blanche et nete
Demi-pie darriers et devant:
Si en sera plus decevant. (Rose 14 254.)
Die Ärmel zu dem Hemde bildeten Kleidungsstücke für sich.
Sie wurden jedesmal bei dem Gebrauch erst an den Rumpf des
Gewandes angeheftet oder angeschnürt. Zum Anheften nahmen
die Damen und Herren im Rosenroman weiße oder mit Gold
durchwirkte Fäden (18 934). Doch galten Ärmel immerhin als
Luxus. Von der heiligen Elisabeth wird erzählt, daß sie erst
nach dem Mittagsmahle ihre Ärmel und Handschuhe anlegte,
da sie vormittags ihren kirchlichen Übungen nachkam (Ru. II,
324). In der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts waren in
Frankreich enge, anliegende Ärmel in der Mode.
D'une aguille bien afilee
D’or fin, de fil d’or enfilee,
Eie a, por mien estre vestues,
Ses deus manches estroit cosues.
(Rose 21 987.)
Fromme Christen zogen in Zeiten der Buße unter ihr Hemd
noch ein rauhes Büßerhemd an (haire, Ru. II, 337).
Beinkleider scheinen die Frauen im Mittelalter nicht ge¬
tragen zu haben. In unseren Texten finden sie nirgends Er¬
wähnung, und weder Winter p. 14 noch Pfeffer III, pag. 37
führen eine Belegstelle an. Die von Herrmann angeführte Stelle
(Montaiglon et Raynaud, Recueil general des Fabliaux, V,
202) kann durch keine zweite unterstützt werden, und es ist
nicht anzunehmen, daß die Dichter, die bei der Aufzählung von
Garderobestücken zuweilen recht genau sind, dieses Kleidungs¬
stück der Frau mit oder ohne Absicht vergessen hätten.
Über das Hemd wird der Rock angezogen (cote, robe).
Er reichte vom Hals bis zu den Füßen hinab, und eitle Frauen
ließen ihn gerne weit nach sich schleppen (Rose 9597). Zu
den Eiferern gegen diese Unsitte gehört auch Rutebeuf (II, 37).
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Über den Hüften wird der Rock durch einen Gürtel zu¬
sammengehalten, wodurch die weibliche Gestalt erst zu voller
Geltung kommt. Die Gürtel (ceintures), wie sie die einfachen
Leute trugen, waren von rotem Leder und mit einer Schnalle
versehen oder bestanden wie bei den Ordensangehörigen aus
einem Strick (Rose 15 094). Oft wird uns von recht kostbaren
Gürteln berichtet. Sie waren mit edlem Metall und mit Perlen
verziert und mit zauberkräftigen Steinen besetzt.
An dem Gürtel hing das Almosentäschchen (raumoniere).
Ursprünglich zur Aufnahme von kleinen Gaben für Bettler
bestimmt, brachte man später auch allerlei für den persön¬
lichen Bedarf nötige Dinge darin unter, wie Schlüssel, Spiel¬
steine und dergl (Rose 2014; ib. 21 977). Sie waren zuweilen
von Seide und boten Gelegenheit zu allerlei Verzierungen
(Rose 21 973). Für Liebhaber gaben sie ein gutes Geschenk
für die Dame ihres Herzens ab (Rose 15 354).
Es wurde viel Wert auf den Stoff und die Farbe der Klei¬
dung gelegt. Am gewöhnlichsten war der ungefärbte Woll¬
stoff. So war in Rutebeufs „Vie sainte Elysabel“ der Vater
der Elisabeth höchst traurig, als er erfuhr, daß seine Tochter
so arm sei und ein farbloses Wollkleid tragen müsse (v. 1670).
Bunte, aus verschiedenen Stoffen zusammengestückte Kleider
galten als schön und wurden daher den einfarbigen vorge¬
zogen (Rose 18926; ib 6005). Die rote Farbe (rouge, vermeil)
war besonders beliebt. Daneben werden als Kleiderfarben
grün, blau (pers, nach Schultz I, 267 ein Blaugrün) und braun
erwähnt. Ein besonderes Grün war das Grün von Douai
(C. R. 1447) und das von Gent (vert de Gans Rose 566), wo
sich im Mittelalter berühmte Färbereien befanden. Als Färbe¬
mittel werden Kräuter und die Schildlaus genannt (taindre en
herbes et en graines, Rose 9139). Als Stoffe nahm man neben
der Leinwand verschiedenerlei Tuche, Seide, Scharlach, Pur¬
pur, Tiretaine, Bure, Buriau, Brunete, Kamelot und den Sammet.
Der Scharlach (escarlate, C. R. 1446) war nach Schultz I, 354
ein kostbares Wollenzeug, das hauptsächlich in den Nieder¬
landen gewebt wurde, der Purpur (porpre) ein Seidengewebe,
das, wie die Bezeichnung porpre sarrazinesche (Rose 1170) an¬
deutet, aus dem Orient kam. Es war zuweilen auch mit
Goldfäden durchwirkt (porpre dore). Der Tiretaine (Rose
21929), der Borras (borras, Rose 1217) waren grobe Wollen¬
gewebe. Brunete (brunete, Rose 9826) war ein ähnlicher
Stoff, der, wie sein Name zeigt, von brauner Farbe war. Das
Kamelot (camelot, Rose 21937) webte man nach Weinhold II,
242 aus Kamelhaaren. Er wurde besonders gut in Cambray
gefertigt (camelins de Cambrai, C. R. 1448). Weit kostbarer
war der Sammet (samit, Rose 21937), ein Stoff, der mit unserem
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heutigen so benannten nichts gemein hat. Er war nach Gau¬
tier „La chevalerie“ 398 aus sechsfachem Seidenfaden gewebt
und, wie uns der Rosenroman lehrt, mit Goldfäden durch¬
zogen (samit qui est tous dores, Rose 865). Er mochte so
unserm heutigen Brokat gleichkommen. Von den im Rosen¬
roman 21933 genannten Stoffen:
Cendaus, molequins Arrabis,
Jndes, vermaus, aunes et bis,
Samis, diapres, camelos,
hält Fr. Michel (Rose II, 52) molequin für einen kostbaren orien¬
talischen Leinenstoff. Der cendal war nach Schultz 1, 350 ein
dünner Seidenstoff, der meist zum Füttern der Gewänder ver¬
wendet wurde, der diapre endlich ein damastartiges Gewebe.
Das Rose 9680 als „cotele“ bezeichnete Kleidungsstück
scheint ein enganliegender kurzer Oberrock gewesen zu sein,
vielleicht eine Art Mieder (vergl. Jehan de Meung, Testam.
879 (Ed. Meon) „Estroites et sans fronces leurs costelles
estoient“). ,
Über den Rock legte man zuweilen einen Überwurf, die
Sukenie (sorquanie, Rose 1216). Sie war nach Weinhold II,
288 ursprünglich ein slavisches Kleid, das sich unter die abend¬
ländischen Völker weit verbreitet hatte. Sie war ein beson¬
ders zierliches Kleidungsstück und gab der Dame ein ele¬
ganteres Aussehen als der Rock.
Car nule robe n’est si bele
Que sorquanie ä damoisele.
Farne est plus cointe et plus mignote
En sorquanie que en cote.
Sie wurde aus besserem Stoff angefertigt, und man scheint von
der Farbe der Sukenie einen Schluß auf die Gesinnung der
Trägerin gezogen zu haben. So bedeutet eine weiße Sukenie,
daß die Dame, die sie trug, von sanftem und offenem Wesen
war (Rose 1216 ff.).
Ein anderes Kleidungsstück, das, wie der Name schon sagt,
über dem Rock getragen wurde, war der Siirkot (sorcot, Rose
9262), nach Lacroix p. 565 „une espece de large fourreau ä
manches, qui n’etait jamais de la meme longueur que la cotte“.
Gewöhnlich trugen jedoch die Frauen über ihrem Kleid
den Mantel (mantel, Rose 14 496; mantiau, Rose 215;
mantiel, N. 6610). Er fiel von den Schultern in reichen
Falten bis zu den Füßen hinab, war vorne offen und
wurde am Halse durch Schnüre oder Bänder zusammengehal¬
ten, die an den Schulterenden des Mantels durch Spangen
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(atache, tassiel, N. 6615) befestigt waren. Wenn man das
Haus verließ, so gehörte es sich für eine Frau, die auf Anstand
und Sitte hielt, den Mantel umzulegen (Rose 14496). Doch
scheint es in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts
nicht zur Seltenheit gehört zu haben, auch ohne Mantel sich
auf die Straße zu begeben.
Auch für Mäntel ist die am meisten genannte Farbe rot.
Im Renart le Nouvel wird ein Mantel erwähnt, der aus „drap de
Tarse“ (6306) gefertigt ist. Der Dichter will mit diesem Tuch,
das nach dem aus dem Neuen Testament bekannten Geburts¬
ort des Apostel Paulus benannt ist, einen sehr kostbaren Stoff
bezeichnen, denn orientalische Stoffe galten allgemein für aus¬
gezeichnet.
Kleid und Mantel waren häufig mit kostbaren Borten und
Stickereien besetzt (borde d’un orfrisiel, N. 6610). Dieses
„orfrisiel“ (=aurum phrygium; orfrois Rose 1065) bestand bald
aus Borten, die man auf die Gewänder nähte, bald aus Sticke¬
reien mit Gold- und Silberfäden auf dem Stoff selbst. Allerlei
bildliche Darstellungen schuf so die kunstvolle Hand junger
Mädchen. Im Rosenroman waren auf dem Purpur eines
Kleides Geschichten von Herzogen und Königen in Goldstickerei
angebracht.
La porpre fu toute orfroisie,
Si ot portraites ä orfrois
Estoires de dus et de rois.
(Rose 1064.)
Kann man es dann einer Schönen verdenken, wenn sie auf der
Straße ihren Mantel etwas schürzte, um die kostbaren und mit
großer Mühe angefertigten Borten bewundern zu lassen (Rose
14501)?
Allerlei Pelze dienten dazu, die Kleider auszufüttern
und sie durch ihren Besatz zu verschönern. Der einfachste
Pelz war der schwarze Lammpelz (Rose 216). Feiner war
schon das Grauwerk (le vair, le gris, Rose 10015), nach Fr.
Michel II, 324, das Fell einer Eichhörnchenart, das am Bauche
weiß, auf dem Rücken taubenfarbig war. Auch der Pelz des
Marders war gesucht (N. 1549). Ein recht kostbares Rauch¬
werk bildete der Zobelpelz (sebelin, N. 6308) und der Herme¬
lin (Rose 21932).
Einen Pelzrock (pelice, Rose 9680) legte man sich nach
Schultz 1, 223 entweder gleich nach dem Aufstehen um oder
zog ihn, wenn es kalt war, über das Hemd.
Die Gonele erklärte Schultz II, 302 als ein nur durch den
Schnitt vom gewöhnlichen Rock abweichendes Kleid. Diez
deutet „gonnelle“ als einen Weiberrock, vom -Gürtel bis zur
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Verse reichend. Uns scheint dies als „gonele“ (Rose 10047)
bezeichnete Kleidungsstück ein Unterkleid gewesen zu sein.
Ein mit Recht eifersüchtiger Ehemann will seiner Frau ihre
schönen Kleider nehmen und, um ihr das Fortgehen zu ver¬
leiden, ihr dafür einen Rock, einen Sürköt von grobem Stoff
und eine „gonele“ von Hanf geben (Rose 10045). Es ist
danach nicht anzunehmen, daß sowohl Rock wie Gonele Ober¬
kleider bedeuten.
Hatte früher das Geschick der Frau dazu gelangt, ihre
eigene Garderobe herzustellen, so war dies durch die im Laufe
der Zeiten hinzugekommenen Verzierungen so erschwert wor¬
den, daß sie die Anfertigung ihrer besseren Kleider einem
Schneider überlassen mußte (Rose 2156).
In die Haare flochten die jungen Damen zur Erhöhung des
Glanzes Goldfäden hinein (Rose 845) oder schmückten sie mit
bunten Bändern, die zuweilen noch mit Goldfäden durchwirkt
waren (Rose 4044). Ging es zum Tanz auf blumiger Wiese
oder zu irgend einem Fest, so setzten sie ein Sehapel auf
(chapel = mit. capellum: capa). Man verstand darunter jede
Art von Kopfreifen, die die Haare um die Schläfen zusammen¬
hielten. Es war entweder ein Goldreifen (Rose 1094) oder
eine schmale Binde (Rose 9773) oder auch ein Streifen Borte
(chapel d’orfrois, Rose 801), die mit Goldfäden bestickt und
mit Perlen besetzt war (Rose 21954). Der Eindruck wurde
erhöht, wenn noch ein Rosenkranz darauf gelegt wurde (chapel
de roses, Rose 557). „Chapel“ bezeichnet auch den Kranz
von Blumen, mit dem sowohl Damen wie Herren sich beim
Tanz das Haupt schmückten (Rose 8187). Namentlich zu
unserer Zeit gehörte es zum unentbehrlichen Attribut geselligen
Treibens der Jüngeren, das bei keinem Fest fehlen durfte.
Die Dame wand ihrem „ami“ einen Kranz, und der Liebhaber
suchte die schönsten Blumen, um damit die Dame seines
Herzens zu schmücken (Rose 21991; ib. 833).
Jungfrauen wie bereits Verheiratete trugen den „gimple“
(Rose 4173), eine Kopfbedeckung, die dem deutschen Gebende
entspricht. Es war dies nach Weiß II, p. 368 teils ein ein¬
faches Band, das um das Kinn und die Wangen gebunden
wurde, teils, am gewöhnlichsten, ein ebenso gefestigtes Band
in Verbindung mit einer flachen Mütze.
Im Rosenroman schmückt eine Dame ihre Flechten mit
bunten Bändern und mit Streifen von Seide, die von Goldfäden
durchzogen und mit kleinen Perlen besetzt sind. Auf dem
Haarnetz befestigt sie eine kostbare Spange und legt darum
einen niedlichen Goldreif, der mit kostbaren Steinen ver¬
ziert ist (Rose 21 950). Bei einer solchen Frisur ist es
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leicht erklärlich, wenn ein Gatte in demselben Roman von seiner
Frau behauptet, daß sie auf ihrem Kopf einen Wert von hun¬
dert Livres trage (Rose 10012).
Eine weitere Kopfbedeckung der Frauen war der Schleier
(voile, cuevrechief, Rose 21941). Es war dies nach Schultz I,
240 ein Kopftuch, das frei zu beiden Seiten des Hauptes nieder¬
hing und mit seinen Zipfeln bis auf die Brust herabreichte.
Dieser Schleier gehörte zur Ordenstracht der Nonnen (Rose
4173). Wenn er auch nach Schultz meistens von verheirateten
Frauen getragen wurde, so scheint es zu unserer Zeit keines¬
wegs zur Seltenheit gehört zu haben, daß Unverheiratete ihn
umlegten. Im Rosenroman wird er sogar dem Liebhaber als
Geschenk für seine neue „amie“ empfohlen (Rose 10526).
Zuweilen legte man diesen Schleier noch über das Gebende
(Rose 21940). Aus welchem Stoff der „cuevrechief“ war, wird
nicht erwähnt; bekannt war auf jeden Fall bereits jenes feine
Schleiergewebe (estamine, Rose 21945). Seine Farbe war
weiß (Rose 12985).
Was ist aber die „cheve^aille“, die Rose 1177 und 21967
genannt wird? Es scheint eine Art Haube gewesen zu sein,
die vorne bei der Kehle geschlossen wurde.
Et por tenir la chevegaille,
Deus fermaus d’or au col li baille.
(21967).
• Et ce ne li sevit pas mal,
Que sa cheve^aille iert overte,
Et sa gorge si descoverte,
Que parmi outre la chemise
Li blancheroit sa char alise.
(1177).
An den Ohren trugen manche Damen bereits zierliche
Ringe von Gold (Rose 21965). Über die Hände wurden weiße
Handschuhe gezogen (gans; mofles = Fausthandschuhe, Rose
14 662). Manche Dame suchte dadurch Hautunreinlichkeiten zu
verbergen, andere wieder ließ die Furcht, die weißen Hände
könnten von dem Sonnenbrand gebräunt werden, dazu kommen,
Handschuhe anzulegen (Rose 565).
Kostbare Spangen und Agraffen von Gold mit schwarzer
Schmelze ausgelegt waren an Rock und Mantel befestigt
(Rose 1067). Glitzernde Steine funkelten vom Schapel und
vom Gürtel der Schönen, und kunstvoll gravierte und mit
Schmelz ausgelegie Ringe glänzten am Finger (Rose 10 023).
Smaragde, Rubine, Diamanten, Saphire, Topasse, Calcedone,
Perlen, verschieden farbige Bildersteine (kasmahius, C. R. 493),
Berylle (Rose 16 458), Karfunkel und Granatsteine (Rose 1103)
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werden oft als Schmuck von Frauen genannt. In elfen¬
beinernen Spiegeln kann sich die Dame selbst bewundern
(Rose 10 022).
Zur Bekleidung der Füße hatte man Schuhe (soler,
Rose 831; botes, Rose 12 880) und Stiefeln (estiviau, Rose 2159).
Die Schuhe waren gewöhnlich aus Rindsleder (sollers de vache,
Ru. II, 27) und wurden mit Riemen an den Fuß gebunden
(soler ä las). Die „botes“ wurden von den Mönchen ge¬
tragen und scheinen von dickem Leder und ziemlich plump
gewesen zu sein (larges botes, Rose 12 880). Unter Stiefel
(estiviau = aestivale) verstand man ursprünglich eine für den
Sommer geeignete leichte Fußbekleidung. Später hat man nach
Schultz I, 295, einen etwas höher an der Wade aufreichenden
Schuh darunter zu suchen, der aus weichem Leder gefertigt
ist und zum Luxus getragen wurde. Um den schöngeformten
Fuß nicht durch das Schuhwerk zu entstellen, mußten die
Stiefeln elegant sein und faltenlos am Fuße anliegen (Rose
14 480).
Die Unterbeine wurden mit den „cauces“ bekleidet, einer
Art Strümpfe von Stoff. Als Stoff zu solchen „cauces“ wird
roter Siglat genannt (cauces faites de viermeil siglaton), nach
Weinhold II, 250, ein Gewebe aus Seide und Gold. Die
„housiaus“ (Rose 10 050) waren eine Art von Gamaschen. Sie
waren von haltbarem groben Stoff oder von derbem Leder und
zuweilen gefüttert (Ru. II, 227). Ein eifersüchtiger Ehemann
will seiner Frau aus seinen „housiaus“ ein Paar große Schnür¬
schuhe machen lassen (Rose 10 050). Von den Mönchen wurden
sie allgemein getragen (Rose 12 880). Als in „De frere Denise“
das junge Mädchen als Mann verkleidet ins Kloster geht, legt
sie vorher erst „housiaus“ an.
Comme vallet fu estaucie
#
Et fu de bons housiaus chaucie
Et de robe ä homme vestue. (Ru. II, 69.)
Wegen des Straßenschmutzes scheinen in Paris auch die
Damen Gamaschen getragen zu haben (Rose 21 983). Doch
achtete man darauf, daß sie faltenlos an der Wade anlagen
(Rose 12 880).
Nur wenige Kleidungsstücke der Männer finden in unseren
Quellen Erwähnung. In den Hauptteilen unterschieden sie sich
kaum von den der Frauen. Der „Amant“ im Roman de la
Rose ist folgendermaßen gekleidet:
D’un samit portret ä oysiaus,
Qui ere tout ä or batus,
Fu ses cors richement vestus;
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72
Moult iert sa robe desguisee
Et fu moult riche et encisee,
Et decopee par cointise;
Chaucies fu par graut mestrise
D’uns solers decopes ä las. (824.)
Wie die Frauen trugen auch die Männer jenen Überwurf
„sercot“ genannt (Ru. II, 110). Der Tabard (tabar, Ru. I, 35)
war ihm ähnlich. Im „Dit d’Ypocrisie“ verkleidet sich Rute-
beuf als Einsiedler und läßt sich zu diesem Zweck aus acht
Ellen groben, braunen Kamelots einen Rock, einen Sorköt und
ein Paar große Gamaschen machen, die mit schwarzer Serge,
einem Wollengewebe, gefüttert waren. Der Überwurf war mit
schwarzen Borten besetzt.
Von den Frauen sowohl wie von den Männern wurden die
Kappen (cape, N. 178; chape, Rose 400) getragen. Sie waren
nach Weinhold II, 292 weite Obergewänder mit Ärmeln, welche
die ganze Gestalt von Kopf bis Fuß verhüllten.
[Eie] ot d'une chape forree
Moult bien.
Abrie et vestu son corps. (Rose 400.)
Für den Kopf war ein besonderer Teil in Art unserer Kapuzen
bestimmt, der auch zurückgeschlagen werden konnte. Sie
dienten auch als Schutz gegen den Regen (chape ä pluie, Rose
9260). Zuweilen waren die Kappen gefüttert; als Farbe wird
einmal rot genannt (Rose 400; N. 178). Eine Abart dieser Kappe
war der „chaperon“. Er war eine Art Kapuze und diente
lediglich zur Bedeckung des Kopfes und Halses (Rose 13 329).
Er wurde besonders von Mönchen getragen und scheint bei
ihnen besonders groß gewesen zu sein (beguins ä grans cha-
perons, Rose 12 876). Zur Verzierung besetzte man ihn mit
Borten (Rose 15 645). Weinhold II, 292 stellt die Vermutung
als wahrscheinlich hin, daß der „chaperon“ nur von Männern
getragen worden sei. Auch Schultz II, 305 führt denselben nur
bei der Aufzählung der Männerkleider an. Nach unseren Stellen
steht es jedoch außer Zweifel, daß auch die Frauen den „cha¬
peron“ trugen. Der „Amant“ will der „Vieille“ einen „cha¬
peron ä penne grise“ schenken (Rose 15 645), wenn sie ihm
über eine Sache Auskunft gibt. Mädchen und junge Frauen
scheinen ihn wegen seines für die Gestalt wenig vorteilhaften
Aussehens nur im Notfall getragen zu haben. Im Rosenroman
wird stets nur die „Alte“ mit diesem Kleidungsstück angetan
beschrieben. Da sie stets friert, hat sie eine gefütterte Kappe
umgelegt und auf den Kopf über das Gebende an Stelle des
Schleiers einen „chaperon“ ,gelegt.
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73
D’un chaperon en leu de vaile,
Sor sa guimple ot covert sa teste.
(Rose 13 329.)
Eine besondere Kappenart war schließlich das „aumuce“
(Rose 14 956). Näheres darüber wird uns in unseren Quellen
nicht mitgeteilt. —
X. Vom Tanz.
Unter den geselligen Freuden des Mittelalters spielt der
Tanz eine bedeutende Rolle. Unter dem mittelalterlichen Tanz
haben wir vor allem eine Art Reigen zu verstehen. Jeder Mann
nahm eine Frau oder auch zwei bei der Hand, und mit Gesang
oder unter den Klängen der Spielleute zog man auf dem Rasen¬
platz herum. Dieser ruhige, bloß gegangene Tanz hieß Carole
(Rose 10 836), tresce (Rose 732), wogegen man die Spring¬
tänze espringeries nannte (Rose 10 836). Ging es zum Tanz,
so putzten sich die Mädchen (Rose 9780). Galt es doch hier
in fröhlichem ungezwungenen Spiel seine Reize zu zeigen.
Die Tänzer drückten ihren Schönen bunte Kränze auf die
Flechten, und die Tänzerinnen wetteiferten, ihre Lieblinge mit
Blumen zu schmücken. Eine Dame mit guter Stimme machte
die Vorsängerin und führte den Zug an. Die übrigen Tänzer
sangen den Refrain mit (Rose 736). Zuweilen sang auch jeder
der Tänzer ein Liedchen (N. 2577), worin sie ihres Gesellen
gedachten, sich über andere lustig machten oder auch historische
und politische Dinge streiften (vergl. die zerstreuten Refrains
im Renart le Nouvel). Im XIII. Jahrhundert stand Lothringen
als Quelle neuer Tanzweisen (notes) in Frankreich im Ansehen
(Rose 754). Im Roman de la Rose wird eine „carole“ be¬
schrieben, die zwei Mädchen miteinander tanzen. In zierlichen
Bewegungen eilen sie einander entgegen, neigen sich eng zu¬
sammen, so bald sie nahe gekommen sind, daß man glaubten
könnte, sie küßten sich, und fahren dann schnell auseinander.
Lors veissies carole aler,
Et gens mignotement baler,
Et faire mainte bele tresche,
Et maint biau tor sor l’erbe fresche.
La veissies fleuteors,
Menesterez et jongleors;
Si chantent li uns rotruenges,
Li autres notes loherenges,
Por ce qu’en set en Loheregne
Plus cointes notes qu'en nul regne ....
Deus damoiseles moult mignotes,
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74
Qui estoient en pures cotes,
Et trescies ä une tresce,
Faisoient Deduit par noblesse
Enmi la karole baler;
Mes de ce ne fait ä parier
Comme el baloient cointement.
L'une venoit tout belement
Contre l’autre; et quant el estoient
Pres ä pres, si s’entregetoient
Les bouches, qu’il vous tust avis
Que s’entrebaisassent ou vis.
Bien se savoient desbrisier. (Rose 747.)
Die Kirche jedoch mit ihrer asketischen Tendenz sah in
diesem frohen, weltheiteren Treiben eine Verletzung christ¬
licher Tugend und suchte durch ihre Diener die Tänze zu ver¬
bieten (Ru. 1, 122). Auch die heilige Elisabeth glaubte, daß da¬
durch die Seele „erzürnt“ würde, und gab sich Mühe, die Leute
vom Tanzen abzubringen (Ru. II, 337). —
XI. Von Spielen.
Wer sich bei Festlichkeiten nicht an dem munteren Treiben
der Jugend auf grünem Rasen beteiligen wollte, fand ge¬
nügend Gelegenheit, sich die Zeit mit einem Spiel zu vertreiben.
Für Abwechselung sorgte eine große Mannigfaltigkeit von Spiel¬
arten. Die einen versuchten im Würfelspiel ihr Glück, andere
wieder gaben sich dem Brett- oder dem Schachspiel hin. Ein¬
facher waren die Spiele mit Ringen oder Steinen. Die Jugend
sprang am liebsten auf grünem Rasen dem leichten Ball nach.
Die weiteste Verbreitung scheint das Würfelspiel gehabt
zu haben. Es war in allen Kreisen bekannt und so sehr mit
der Vorstellungswelt des damaligen Menschen verwachsen, daß
man Glück und Würfel miteinander identifizierte.
Lors li sont li de changie.
Et geu et vis bien estrangie.
(Ru. II, 181.)
Gespielt wurde mit zwei Würfeln (Ru. I, 34). Nach Abbildungen
zu schließen, waren sie den heutigen sehr ähnlich. Besonders
in den unteren Ständen wurde viel Würfel gespielt, und in
den Wirtshäusern saßen „Ribauts“ und Spielleute, um erst nach
Verlust ihres gesamten Geldes und oft auch der nötigsten
Kleider sich schweren Herzens zu trennen (Rose 15 463, vergl.
auch pag. 46).
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75
Beim Brettspiel (jeu as tables, Rose 8520) verwandte man
ein rechteckiges Brett und runde oder quadratische Steine. Wie
die Abbildung nach einem Manuskript des Brit. Museums aus
dem Anfang des XIII. Jahrhunderts zeigt (abgebildet bei Gautier
La Chevalerie p. 124), scheint es Ähnlichkeit mit unserem
heutigen Brettspiel gehabt zu haben.
Mit dem Brettspiel zusammengenannt wird häufig das
Schachspiel (Rose 8520). Nach der häufigen Erwähnung unserer
Epiker scheint es in der höfischen Welt ein sehr beliebtes Spiel
gewesen zu sein. Jean de Meung hält für den Erfinder des
Schachspieles einen Mathematiker Attalus, weiß jedoch nicht die
Zeit anzugeben, in der jener lebte (Rose 7427). Damalige Spiel¬
regel war es, anstatt wie heute „Schach dem König“ zu sagen,
seinem Partner „have“ (haver = dire ave begrüßen) zuzurufen,
sobald der König in Gefahr stand (Rose 7409). Von den Figuren
nannte man den Turm „ros“, der Läufer hieß „fox“, der Springer
„Chevalier“, der Bauer „paonne“, die Königin „fierche“, der
Bube „gargon“ (Rose ,7400 ff.). Von der Größe der Schach¬
figuren kann man sich einen geringen Begriff machen, wenn
man sich daran erinnert, daß im Roman von „Ogier de Dane-
marche“ Charlot, Karls Sohn, mit einer Schachfigur Baudouin
den Kopf einschlägt (cap. 16).
Das von Rutebeuf II, 1 erwähnte „jeu ä la briche“ spielte
man mit einem Stein und einem kleinen Stab (vergl. Lacroix
pag. 258).
Einmal wird ein Ringspiel genannt „un geu que l’en dit
des aniaus“ (Ru. II, 322). Die heilige Elisabeth spielte es und
verteilte den Gewinn unter die Armen.
Vor allem von der Jugend wurde das Ballspiel gepflegt
(joer ä la pelote, Rose 7273).
Das von Rutebeuf in seinem „Griesche d’hyver“ und
„Griesche d’ete“ erwähnte Spiel „la griesche“ scheint mit
einem Federball gespielt worden zu sein und erforderte ge¬
wandte Leute.
La griesche est de tel maniere
Qu’ele veut avoir gent legiere
En son Service. (Ru. II, 33.)
Wie der Name es schon sagt und wie Rutebeuf bestätigt (Ru. I,
33), stammt das Spiel aus Griechenland. Kreuzfahrer mögen
es ins Abendland gebracht haben. Nach Hist. litt. XX, pag. 735
ist es ein Würfelspiel, das man auch unter dem Namen Blanque,
Blanche oder Azar und Zara kannte, worauf Rutebeufs oben
erwähnte Bemerkung jedoch wenig paßt.
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Um unter mehreren Personen auszulösen, wurde entweder
ein Strohhalm zu Hilfe genommen und nach den verschiedenen
Größen seiner Teile die Entscheidung getroffen (faire le buske),
oder man warf mit Würfeln um die Punkte. Wer die meisten
Punkte warf, hatte gewonnen.
Faisons le buske entre nous trois,
Mais nous getons as des ancois
As plus poins. (N. 4535.)
Diesem ähnlich, wenn nicht identisch, ist die Art, die im
Renart le Nouvel 4558 erwähnt wird. Renart hat an drei
Frauen Liebesbriefe geschrieben, und um zu entscheiden, wer
von ihnen seine Geliebte sein soll, wollen sie die Würfel zu
Rate ziehen:
„Faisons le mine.“
Die Spielleidenschaft mag zuweilen böse Folgen gezeitigt
haben. Kirche und Staat suchten sie durch Verbote einzu¬
dämmen. Im Jahre 1254 sagte Ludwig IX. in einer könig¬
lichen Ordonnanz: Nous defendons, estroitement que nul ne
joue aux des, aux tables, ne aux eschets (vergl. Lacroix
pag. 256). Auch der Verfasser des Renart le Nouvel fordert
seine Zeitgenossen auf, vom Spiel und von Wetten abzulassen;
denn derjenige, der beim Spiel sein Ende findet, ist von Gott
verflucht und stirbt eines doppelten Todes.
Laissies le gieu; s’el giu fines,
Je di de double mort morres.
Laissies et enviaus et giu,
U vous seres maudit de Diu.
(N. 5919.)
XII. Vom Essen und Trinken.
Leisten wir dem mittelalterlichen Franzosen noch Gesell¬
schaft beim Essen und Trinken. Erwähnt werden in unseren
Texten zwei Hauptmahlzeiten. Die erste wurde gewöhnlich
nach der Messe eingenommen (N. 3047). Da nach Zeller
pag. 17 die Messe in den ersten Morgenstunden stattfand, nach
einigen Angaben gegen neun Uhr morgens, so wird man dieses
erste Mahl auf die Zeit zwischen neun und zehn Uhr legen
können. Das Abendessen wurde beim Anbruch des Abends
eingenommen (C. R. 2740). Wenn es beendet war, ging man
gewöhnlich zur Ruhe (N. 3973). An den Höfen wurde der
Beginn der Mahlzeit durch Hornsignale bekannt gegeben. Man
nannte dies „corner l’eau“ (N. 349). Nach Le Grand et Roque¬
fort III, 310 war dieser Gebrauch jedoch nur ein Vorrecht der
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Vornehmsten. Sowohl vor wie nach dem Essen wusch man
sich die Hände (N. 2999). Denjenigen Personen, die geehrt
werden sollten oder die einen höheren Rang inne hatten, wurde
das Wasser zuerst gereicht (N. 7051). Zum Trocknen der
Hände benutzte man Servietten. Vorher hatte man Tafeln auf-
schlagen lassen (N. 2998), die nach beendeter Mahlzeit ent¬
fernt wurden (Ru. II, 71). Auf den Tischen standen kleine
Schüsseln (N. 3049). Gewöhnlich aßen je zwei Personen aus
derselben Schüssel (Rose 14342). Im Renart le Nouvel werden
in den Pausen der Mahlzeit Kanzonen und Rondets vorge¬
tragen, von denen jeder Anwesende gewöhnlich einige nach
seinem Belieben zum Besten gab. Nach dem Mittagessen
suchte man die verschiedensten Zerstreuungen auf, sei es, daß
Spielleute mit ihrer Kunst aufwarteten, sei es, daß man sich zum
Reigen anstellte oder im Garten auf und ab ging (N. 3050;
Ru. II, 108). Andere wieder setzten sich zum Spiel hin. Die
geschickteren Edelknaben versammelten sich wohl auch, um
Steine um die Wette zu werfen (N. 2513).
Daß es auch in jener Zeit strenge Vorschriften darüber
gab, wie man sich bei Tische zu verhalten habe, beweisen
u. a. die Ratschläge, die im Roman de la Rose einer jungen
Dame gegeben werden (14325 ff.). Sie soll zunächst mit ge¬
ziemendem Anstand bei Tische sitzen. Ist sie selbst Gast¬
geberin, so hat sie den Gast zu begrüßen und ihm stets zu
verstehen zu geben, daß sie gerne die entstandene Mühe er¬
trägt. Auf alles habe sie acht und als letzte setze sie sich an
die Tafel. Dort soll sie jedem mit größter Aufmerksamkeit
begegnen. Sie soll zuschneiden und Brot herumreichen, dem
Gast aber, der mit ihr aus derselben Schüssel ißt, soll sie die
besten Bissen vorlegen und ihm die Mühe des Fleischteilens
abnehmen. Nie werde sie müde, den Gästen anzubieten. Sie
selbst aber soll nur mit den Fingerspitzen das Fleisch ergreifen
und nicht bis zum Fingergelenk in die Brühe tauchen. Die
Lippen sollen nicht von Fett glänzen. Auch möge sie sich
nicht zuviel Essen aufhäufen und zu große Bissen in den Mund
stecken. Geschickt führe sie die Speisen in den Mund und
gebe acht, sich nicht durch heruntertropfende Brühe oder Ge¬
würz das Gewand zu beflecken. Zum guten Ton gehört es
auch, vor dem Trinken den Mund abzuwischen, damit nicht
in den Wein Fettaugen hinein kommen. Der Becher Selbst
ist langsam zum Munde zu führen und der Rand nicht zu tief
in den Mund hineinzustecken. Man soll bei allem Durst, den
man hat, langsam trinken und lieber wenig und öfters trinken,
als einen großen Zug tun. Die Frau hüte sich davor, sich zu
betrinken, da sie dann unangenehme Dinge ausplaudere. Auch
soll sie darauf achten, nicht bei Tafel einzuschlafen.
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78
Von den alltäglichen Speisen ist neben Milch, Eier und
Käse zunächst das Brot zu erwähnen. Das einfachste Brot
war aus Gersten- oder Hafermehl. Es stand in damaliger Zeit
in geringem Ansehen. Wie schon im Roman „Partonopeus
de Blois“ der Held, nachdem er seine Herrin verraten hat,
zur Buße Haferbrot essen muß, so wird im Rosenroman den
Verbrechern nur Gersten- und Haferbrot als Nahrung gegeben
(2623). Aus Hafer bereitete man zuweilen Grütze (Ru. I, 33).
Speziell in Klöstern zu finden waren die „paignon“ (C. R.
1137), kleine Brötchen, wohl aus Weizenmehl, und jene dünne
Kuchenart, ebenfalls aus Weizenmehl, die in der Herdasche
gebacken wurde und „fouache“ hieß (vergl. Weinhold II, 60),
nach Meon „pain cuit sous la cendre, espece de bouillie faite
avec de la farine et des jaunes d’ceufs“. Da diese Kuchenart
nur C. R. 1138 erwähnt wird, wird die Ansicht von Le Grand II,
289 bestätigt, daß diese Kuchenart nur in den nördlichen Pro¬
vinzen zu finden sei. Der Biskuit (N. 3545: besquit), der nach
Le Grand I, 101 in den meisten Klöstern zu finden war, wurde
wegen seiner Haltbarkeit auch für den Fall einer Belagerung
auf Burgen geführt (N. 3544 ff.). Eine feinere Brotart war die
Torte (tartre, Rose 12681). Ursprünglich bedeutete das Wort
torta ein gewöhnliches Brot von runder Form. Zu unserer
Zeit jedoch nahm man zur Herstellung der Torte feines Mehl
und füllte sie zuweilen mit Obst, Gemüse oder Fleisch aus.
Als solche zählten sie zu den beliebtesten Gerichten im alten
Frankreich.
An Fleischspeisen aß man vor allem Schweinefleisch (Rose
12686). Kleine Stücken ohne Fett briet man auf dem Rost und
erhielt so die „charbonnees“. Im Roman de la Rose finden
sich die verschiedenen Arten, Fleisch zuzubereiten, aufgezählt:
Man kochte es im Topfe, briet es auf dem Rost oder in Fett
(22564). Ein andermal wieder wurde es gebacken oder in
Pastetenform aufgetragen, zuweilen auch als kaltes Gericht mit
Gelee vorgesetzt (en galentine, Rose 22566). Bei Rustebeuf II,
88 besteht die Mahlzeit eines Bauern aus Fisch, Ochsenfleisch
und warmem Fett. Von dem Geflügel wird der Kapaun
(chapon, Rose 12683) am meisten geschätzt. Daneben ließ
man sich fette Gänschen, Hühner, Bekassen, Fasanen und Reb¬
hühner gut schmecken (N. 7674; C. R. 631). Die Ziege und
das Kaninchen (connis, Rose 12685), zuweilen mit Speck oder
in Pastetenform, gaben manches leckere Mahl ab. Einmal
wird auch eine Wurstart erwähnt, die „andoille“ (C. R. 432),
nach Le Grand I, 321 eine Art Weißwurst.
Einen wesentlichen Bestandteil in der Ernährung bildeten
in der damaligen Zeit die Fische. Frankreich, von zwei
Meeren umspült und von vielen Flüssen und Bächen durch-
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79
zogen, war von der Natur des Landes schon darauf hinge¬
wiesen. Andrerseits brachte die Kirche mit ihrem Fasten¬
gebot seine Bewohner auf diese Art, sich zu ernähren. Am
meisten schätzte man den Aal. Sonst werden von Fischen
genannt der Salm (saumon, Rose 9136), der Hecht (luz, Rose
9136) und die Bricke (lamproie, Rose 12679). Der Hering,
der eigentliche Fastenfisch, der schon im XII. Jahrhundert
einen großen Handelsartikel bildete (Weinhold II, 71), findet
seltsamerweise bei unseren Dichtern keine Erwähnung.
Man liebte es, Fische und Fleisch mit zum Teil stark ge¬
würzten Brühen zuzubereiten. Die verschiedenen Saucen be¬
nannte man nach ihrem Aussehen. So ist im Rosenroman die
Rede von einer grünen, einer kamelfarbenen und einer gelben
Brühe (Rose 14457). Die Leute jener Zeit suchten einen Ehr¬
geiz darin, neue Brühen durch Zusammenbringen von den ver¬
schiedensten Gewürzen und Kräutern ihren Gästen vorzusetzen
(Rose 21104). Die Kreuzzüge trugen viel zur Verbreitung der
Gewürze in Frankreich bei. Als flüssige Zutat zur Bereitung
von Brühen nahm man den Weinessig (aigret, N. 5521), den
Saft der unreifen Weintraube. An Gewürzen hatte man den
Anis (anis), den Zimmet (canele), die Gewürznelke (cloz de
girofle), den „citoal“, ein Gewürz, das dem Ingwer ähnlich
ist, den Pfeffer (poivre), den Honig (miel) und den Zucker
(sucre, Rose 17987), wobei an den aus dem Zuckerrohr her¬
gestellten gelben zu denken ist (vergl. Le Grand II, 198), und
das Salz (N. 3363). Man liebte es, die Gewürze auch rein als
Mittel zur Verdauung zum Nachtisch zu essen (Rose 1353).
Daneben pflegte man nach dem Essen allerlei Früchte auf die
Tafel zu stellen. Genannt werden in unseren Texten Äpfel,
Birnen, Nüsse, Kirschen, die Frucht des zahmen Sperber¬
baumes (cormes), Pflaumen, Erdbeeren, Vogelkirschen
(merises), Kastanien, Quitten, Feigen, die in den südlichen Pro¬
vinzen gebaut wurden, Pfirsiche, Mispeln, eine der ältesten
Früchte Frankreichs, Flimbeeren, Weintrauben und die Frucht
des Elsbeerbaumes (alietes).
Das Nationalgetränk ist der Wein. Als bekannte Wein¬
sorten werden die von Auchoirre und Biaume angeführt (C. R.
1545). Häufig fügte man zu dem reinen Wein allerlei Zutaten
von Gewürzen, Honig und Zucker hinzu und erhielt so einen
Würzwein wie Pigment (piment = Beißbeere, eine Art Pfeffer)
und Claret (Rose 9130). Der clairet war von bleichroter Farbe
und wurde im Unterschied zum „piment“ erst nach Abklären
des Gewürzes getrunken (vergl. Schultz I, 412; Pfeffer III,
33). Genannt wird noch der Absinth (aluine, Rose 7559).
Nicht angeführt wird seltsamerweise das in den Fabliaux
öfters erwähnte Bier (cervoise, vergl. Herrmann p. 62). —
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80
Literatur.
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83
Register.
Advokat, 51
Agraffen, 70
aigret, 70
Alchimie, 17
Almosentäschchen, 06
aluine, 70
Amme, 58
aniaus, jeu des —, 75
Anstandsregeln, 60
„ bei Tisch, 77
Ärmel, 65
Arzt, 53
Ärztin, 53
Atem, übelriechender, Mittel
gegen —, 63
Augustiner, Orden der—, 20
aumoniere, 66
aumuce, 73
Bad, 54
bailli, 51
Ballspiel, 75
Barre, Vordre des —s, 20
Beginen, Orden der —, 31
Beichte, 24
Beinkleider, 65
Benediktiner, Orden der —, 20
Biskuit, 78
Bläschen, Entfernung von —, 63
Blinde, Orden der —n, 31
borras, 66
Borten, 68
bote, 71
Brettspiel, 75
briche, jeu ä la —, 75
Brot, 78
Brühe, 70
brunete, 66
Büßerhemd, 65
buisine, 48
buske, faire le —, 76
Camelot, 66
Carole, 73
cauces, 71
cendal, 67
chape, 72
chapel, 60
chaperon, 72
charbonnee, 78
Chartreux, Vordre de —, 30
chevegaille, 70
chievrete, 48
cimbale, 48
Citeaux, Mönche von — 30
citole, 47
claret, 70
cordelier, 28
cote, 65
cotele, 67
cuevrechief, 70
Diapre, 67
Dirne, 64
Dominikaner, Orden
der —, 28
drap de Tarse, 68
Dreifaltigkeit 10
Dudelsack, 48
Eeau, corner V —, 76
Edelsteine, 70
Ehe, Ansicht über
die —, 56
espringerie, 73
estamine, 70
estive de Cornvaille, 48
estiviau, 71
evangile eternel, 30
Färbemittel, 61; 66
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84
Fegefeuer, 15
Filles-Dieu, l’ordre des —, 31
Fische, 78
flahuste, 48
Fleisch, Zubereitung von
-, 78
fouache, 78
Franziskaner, Orden der
-, 28
freres-menus, 28
freres-precheurs, 28
frestel, 48
Früchte, 79
Gamaschen, 71
Gebende, 69
Geflügel, 78
Gerichtshöfe, 52
Gewürze, 79
gigue, 47
gimple, 69
Gonele, 68
Gottheit, Auffassung der—, 9
graille, 48
griesche, 75
Grün von Douai, 66
Grün von Gans, 66
Grütze, 78
Gürtel, 66
Guillemins —, l’ordre des
30
guiterne, 47
Haarschmuck, 69
Haartracht, 61
Handschuhe, 70
Harfe, 47
Heilkunde, 53
Heilige Geist, 10
Heilige, Namen einiger
—n, 12
Heiligenverehrung, 12
Heilmittel, 53
Hemd, 64
hermins, l’ordre des
—, 30
Hölle, 14
Honig, 79
Hospitaliter, 30
housiau, 71
Ideal der Frau, 59
Ideal des Mannes, 60
jacobins, 28
Jesus, 10
jongleur, 44 ff
Jungfrau Maria, 11
Kammerfrau, 58
Kappe, 72
Karmeliter, Orden der —, 29
Kaufmann, 50
Kometen, Erscheinen von
15
Korsett, 63
Kräuter als Heilmittel, 16
Kreuzzug,Teilnahme an einem
- 13
Laute, Musikinstrument, 47
Liebe, Ansicht über die —, 56
Mahlzeiten, 76
maiour, 51
Mantel, 67
Maria, Jungfrau —, 11
maufe, 14
menestrel, 44 ff
Metall, Zusammensetzung der
-e, 17
Metallbecken, 48
Mieder, 67
mine, 76
mineur, 28
molequin, 67
Nonne, 31
Nonvoianz, l’ordre des—, 31
Odeur, 63
Ohrringe, 70
orfrisiel, 68
Orgel, 48
Paignon, 78
Paradies, 14
Parfüm, 63
Pastete, 78
pelice, 68
Pelze, 68
pigment, 79
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86
Premontre, l’ordre de—, 30
Profoß, 51
psalterion, 47
Purpur, 66
Quacksalber, 54
Regeln des Anstandes,
60; 77
Richter, 52
robe, 65
Rock, 65
Rutebeuf, 48
rubebe, 47
Sacheten, Orden der —, 30
Saint-Amour, Guillaume de
—, 39 ff
Sammet, 66
Schachspiel, 75
Schalmei, 48
Schapel, 69
Scharlach, 66
Scharlatane, 54
Schlaguhr, 48
Schleier, 70
Schminke, 62
Schneider, 69
Schönheit, Ideal der männ¬
lichen —, 60
Schönheit, Ideal der weib¬
lichen —, 59
Seele, Auffassung der —, 13
Seide, 66
sercot, 72
Serge, 72
Serviette, 77
Siglat, 71
soler, 71
sorcot, 67
sorquanie, 67
Spangen, 67; 70
Spiegel, 71
Spielverbot, 76
Spinnen, 59
Steine, Aberglaube an —, 16
Stickereien, 68
Stiefeln, 71
Stoffarten, 66
Sukenie, 67
Tabar, 72
Tabour, 48
Tanzverbot, 27; 74
Tempelherren, 30
Testament, 24
Teufel, 14
timbre, 48
tiretaine, 66
Tod, 13
Torte, 78
Träume, Glaube an —, 15
tresce, 73
Trinität, 10
Trinität, Orden der —, 30
Trommel, 48
Trompete, 48
Tuche, 66
Vaux des escoliers, Mönche
vom —, 30
vielle, 47
Viktor, Mönche von St.
—, 30
Virginität der Jungfrau, 11
voile, 70
Wein, 79
Weinessig, 79
Wollstoff, 66
Wucherer, 50
Würfelspiel, 46; 74
Wurst, 78
Wurzeln als Heilmittel,
16; 53
Zucker, 79
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Lebenslauf.
Ich, Albert Burchardt, evang.-luther. Konfession, wurde am
11. Dez. 1886 als Sohn des Oberbahnassistenten Albert Bur¬
chardt in Altona geboren. Meine erste Schulbildung erhielt ich
in der Bürgerschule zu Cölleda (Prov. Sachsen). Ostern 1897
trat ich in die Herzogi. Oberrealschule (Ernestinum) zu
Coburg ein, die ich Ostern 1906 mit dem Zeugnis der Reife
verließ. Darauf bezog ich die Universität Jena, um mich dem
Studium der Neueren Philologie zu widmen. Seit Ostern 1907
bin ich an der Universität Leipzig immatrikuliert. Ostern 1908
erhielt ich durch eine Ergänzungsprüfung im Lateinischen an
dem Herzogi. Gymnasium (Ernestinum) zu Gotha das Reife¬
zeugnis eines Realgymnasiums. Meine Lehrer waren die
Herren Professoren und Dozenten: Birch-Hirschfeld, Cloetta,
Delbrück, Deutschbein, Eucken, Gräf, M. Heinze f, Hirt, Hoff-
mann, Keller, Köster, Leitzmann, Lietzmann, Settegast, Sievers,
Volkelt, Weigand, Wilhelm, Witkowski, Wülker f, Wundt.
Als ordentliches bezw. außerordentliches Mitglied nahm ich
teil an den Seminarien der Herren Professoren: Birch-Hirsch¬
feld, Hartmann, Volkelt, Wülker f, und an dem Proseminar
von Prof. Sievers. An neusprachlichen Übungen beteiligte ich
mich bei den Herren Lektoren Anders, Cohen, Davies, Des-
douits.
Allen meinen verehrten Lehrern fühle ich mich zu großem
Danke verpflichtet, vor allem Herrn Geheimrat Birch-Hirsch¬
feld für seine freundlichen Ratschläge und für sein Interesse
mit dem er vorliegende Arbeit begleitete.
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